Anständige Demos per Gesetz?

Nie wieder Rechte am Brandenburger Tor? Innenminister Schily soll Vorlage für die Verschärfung des Demonstrationsrechts erarbeiten: Aber alle Vorschläge, die es bisher gibt, sind problematisch, manche sogar offensichtlich verfassungswidrig

von CHRISTIAN RATH

Einstimmig haben sich die Innenminister der Länder in der vergangenen Woche für eine Änderung des Versammlungsrechts ausgesprochen. Doch die Einmütigkeit täuscht. In Einzelfragen vertreten die Länder durchaus unterschiedliche Konzepte. Verfassungsrechtlich problematisch sind diese allesamt.

Am bekanntesten ist in der Öffentlichkeit der Vorschlag von Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU): Das Brandenburger Tor und weitere Orte „von herausragender nationaler und historischer Bedeutung“ sollen „befriedete Bezirke“ werden. Demonstrationen wären dort grundsätzlich verboten. Als Gesetzentwurf hat das sozialliberal regierte Land Rheinland-Pfalz diesen Vorschlag in den Bundesrat eingebracht, da Werthebach im Berliner Senat wegen der dortigen großen Koalition bisher kein grünes Licht erhielt.

Bedenklich ist aber schon die Begründung. Rechte Aufzüge an „symbolträchtigen Orten“ würden dem „Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland erheblich schaden“, heißt es im Mainzer Gesetzentwurf. Als Beleg hierfür gilt vor allem eine NPD-Demonstration durch das Brandenburger Tor am 29. Januar dieses Jahres. „Imagepflege im Ausland ist ein schwacher Grund für Grundrechtsbeschränkungen“, erklärte dagegen der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm in einem taz-Interview (10. 10. 2000). Er hält selbst ein generelles Demonstrationsverbot an Holocaust-Gedenkstätten für „verfassungsrechtlich fragwürdig“. Grimm war in Karlsruhe bis letztes Jahr für die Auslegung der Versammlungsfreiheit zuständig.

Die rechtlichen Probleme lassen sich auch nicht umgehen, wenn – wie von Rheinland Pfalz geplant – Ausnahmen von einem allgemeinen Demonstrationsverbot zugelassen werden. Im Gegenteil, der Vorschlag würde wohl noch eindeutiger verfassungswidrig. Eine explizite Unterscheidung zwischen „extremistischen“ und staatstragenden Demonstrationen (wie am 9. November, als 200.000 „anständige“ Deutsche zum Brandenburger Tor zogen) will das Grundgesetz gerade vermeiden.

Doch die Debatte um die „medienwirksamen“ Orte ist nur die Spitze des Eisbergs. Werthebach hat noch einen zweiten Vorschlag lanciert, der Demonstrationsverbote künftig generell erleichtern soll. Bisher ist ein Verbot nämlich nur möglich, wenn konkrete Hinweise vorliegen, dass bei einer Kundgebung mit Straftaten zu rechnen ist. Werthebach will künftig aber schon die Beeinträchtigung „außenpolitischer Interessen“ Deutschlands ausreichen lassen. Er bezeichnet dies als „Präzisierung“ – es wäre jedoch eine weitere klare Einschränkung der Demonstrationsfreiheit. Betroffen wären davon wohl nicht nur Rechtsradikale, die für ein Großdeutschland in den alten Grenzen agitieren. Vielmehr könnte dann jede kritische Demonstration gegen einen ausländischen Staatsgast unterbunden werden. Auch dieser Vorschlag dürfte wohl kaum vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben. In dessen Brokdorf-Entscheidung von 1985 wurde nämlich klargestellt, dass Demonstrationen „nur zum Schutze gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter“ verboten werden können. Dennoch will die CDU/CSU-Fraktion die Ideen Werthebachs übernehmen und noch in diesem Jahr mit einem eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen.

Eine „Präzisierung“ des Versammlungsgesetzes strebt schließlich auch das SPD/PDS-regierte Land Mecklenburg-Vorpommern an, das bereits einen Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht hat. Der Schweriner Innenminister Gottfried Timm (SPD) geht dabei aber eher vorsichtig vor. Demonstrationen sollen künftig nicht nur verboten werden können, wenn Straftaten drohen, sondern auch wenn die Menschenwürde „in Frage gestellt“ wird. Allerdings ist die Anstachelung zum Rassenhass oder die Verharmlosung des Holocaust heute schon als „Volksverhetzung“ strafbar. Hier ändert Timms Entwurf gar nichts und soweit er darüber hinausgeht, dürfte er eher für neue Rechtsunsicherheit sorgen. Aus all diesen Ansätzen soll Innenminister Otto Schily nun, so der Auftrag der Innenministerkonferenz, eine konsensfähige und verfassungskonforme Vorlage basteln. Das wird ihm kaum gelingen.