Kurz und lesbar

EU-Experten verfassen „Erklärung zu einer Europäischen Verfassung“. Umstrittenes Prinzip des Föderalismus durch die Hintertür eingeführt

ROM taz ■ „Mailänder Erklärung zu einer Europäischen Verfassung“ – gerdezu feierlich klingt der Titel der Resolution, mit der gestern eine italienisch-französisch-deutsche Tagung endete. Der Termin kurz vor dem EU-Gipfel in Nizza und die Schirmherrschaft des italienischen und des deutschen Staatspräsidenten machten deutlich, dass es den Veranstaltern um mehr ging als um einen akademischen Austausch. Das Istituto per gli studi di politica internazionale, die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik und das Institut francais des relations internationales wollten mit 50 EU-Experten aus den drei Staaten ein politisches Zeichen für eine Europäische Verfassung setzen.

Gemessen an diesem Anliegen ist das Resultat, das in einer Abschlusserklärung festgehalten wurde, eher bescheiden. Alle Teilnehmer sprachen sich für die EU-Grundrechtscharta und für eine pragmatische Reform des existierenden Institutionensystems der EU aus. Die demokratischen Legitimität Brüsseler Entscheidungen müsse verbessert werden, zugleich sollten sie aber auch effizienter sein.

Das Bekenntnis zu einer Europäischen Verfassung, die in den nächsten fünf Jahren erarbeitet werden soll, konnte nicht überraschen, kamen die Teilnehmer doch aus Ländern, in denen der Sinn einer solchen Konstitution kaum umstritten ist. „Kurz, klar und lesbar“, so die Mailänder Erklärung, müsse die Verfassung sein. Als Grundprinzipien wurden neben anderem „Solidarität“ und die „Anerkennung der Differenzen“ angeführt. Ausgeklammert wurde jedoch die Frage des Föderalprinzips, denn dieses ist für Frankreich ein rotes Tuch. Stattdessen ist vom Konzept eines „multi-level constitutionalism“ die Rede. Der Vorteil dieses „Prozesses der Verfassungsgebung auf mehreren Ebenen“: Er erlaubt, auf den Begriff des Föderalismus zu verzichten, ohne ihn auszuschließen.

Wenn die deutsche Seite sich in einem Punkt durchsetzen konnte, dann in der Bekenntnis zur Subsidiarität: So wenig wie möglich solle die neue Verfassung die Kompetenzen der Nationalstaaten beeinträchtigen, die Wirksamkeit dieses Prinzips müsse kontrolliert werden.

Wie ein solcher Kontrollmechanismus aussehen könnte und wie umgekehrt die Treue der EU-Mitgliedsstaaten zu den Verfassungsprinzipien sicherzustellen sei – dies bleibt in der Erklärung offen. Offen sind auch die Umrisse der Verfassung selbst. Nicht einmal in Ansätzen skizziert das Dokument Charakter, Kompetenzen und Zusammenspiel der Institutionen einer demokratisch legitimierten EU. Da nämlich ging es den Teilnehmern der Mailänder Veranstaltung wie den bald in Nizza versammelten Politikern: Zahlreiche Ideen haben sie, aber keinen Entwurf, auf den sich alle Mitglieder einigen könnten.

MICHAEL BRAUN