Gay Sex meets Gender-Unordnung

Am Donnerstag startet das International Queer FilmFestival verzaubert  ■ Von Antke Engel

Was die einen kommentarlos tun, wird den anderen zum Programm. Das Festival „verzaubert“ präsentiert sich bis zum 6.12. in Hamburg mit einem Programm, das dem der 11. Lesbisch-Schwulen Filmtage (LSF) dieses Jahres nicht unähnlich ist. Nicht nur in der Filmauswahl finden sich Überschneidungen zwischen dem in München professionell für fünf Städte erstellten Programm „verzaubert“ und dem Produkt unbezahlter Kollektivarbeit in Hamburg (z. B. Memento Mori, Chrissy, Hit and Runway). Auch was den Anspruch betrifft, nicht nur lesbisch-schwule Identitätssuche zu befördern, sondern mit vielfältigen Repräsentationen sexueller Begehrensformen und Praktiken aufzuwarten oder Gender als wichtigen Teil sexueller Politiken sichtbar zu machen, lassen sich Ähnlichkeiten verzeichnen. Nicht zuletzt stellen beide Festivals queere Interessen ins Verhältnis zu anderen politischen Problemfeldern, wie beispielsweise Rassismus oder sexuelle Gewalt.

Im Unterschied zum Hamburger Querbild e.V. legt das „verzaubert“-Team dies als bewusste Entscheidung dar und nimmt auch auf aktuelle Debatten innerhalb der Bewegung Bezug. So begründet sich das Anliegen, „verzaubert“ zum „Forum für soziale Brennpunkte“ zu machen, mit den „zum Teil heftigen Diskussionen innerhalb der Szene ..., ob und inwiefern wir uns mit der Diskriminierung gegenüber anderen Minderheiten auseinandersetzen wollen“, wie im Programmheft dargelegt wird. Zwar wirft dies sogleich Fragen auf, etwa was die Auswahl des sozialregulatorischen Begriffes „sozialer Brennpunkt“ bedeutet, wer denn wohl „die Szene“ ist, warum „andere Minderheiten“ scheinbar jenseits der Szene siedeln, und wer sich selbst als „Minderheit“ verstehen will. Aber gerade das macht das Konzept des Festivals streitbar, Filme können unter den aufgeworfenen Fragen angeschaut werden, und die überwältigende Fülle verliert den Anschein der Wahllosigkeit. Mag sein, dass dies den Genuss am Exzess des Festival mindert, die Schaulust jedoch nicht, und schon gar nicht die Lust, über das Gesehene zu sprechen – ein nicht ganz überflüssiges Moment, soll ein Festival als Intervention in subkulturelle oder Mainstream-Öffentlichkeiten funktionieren. Allerdings kann auch das Team der LSF in dieser Hinsicht mit kreativen Strategien aufwarten, etwa der seit Jahren etablierten Nachtbar, die sich gezielt urbane Räume anzueignen pflegt, wie mit dem beliebten TV-Begleitprogramm im Pink Channel. Inhaltliche Debatten zu initiieren oder gezielt queer-politische Positionen zu setzen, ist dem Team dieses Jahr aber nicht gelungen.

Ob das „verzaubert“-Festival seinen Anspruch einlöst, wird sich vielleicht an der Werkschau des Regisseurs Francois Ozon zeigen, der sich, so die VeranstalterInnen, dadurch auszeichne, mit diabolischer Freude sämtliche formellen, sexuellen und moralischen Konventionen zu sprengen. Oder mit dem Queer-Fokus zu sexueller Gewalt gegen Kinder, der die üblichen ci-neastischen Bearbeitungen als reißerischen Rache-Thriller oder quälendes Gerichtsdrama zurückweist. Spannend bleibt, ob und mit welchen Darstellungsformen es stattdessen Filmen wie Bastard out of Carolina, 301-302, The Girl of Silence oder Naked Acts gelingt, die Auswirkungen der Gewalt zum Thema zu machen, statt Gewalt als Erotik zu verbrämen, sowie nach Handlungsfähigkeit oder Widerständigkeit zu fragen.

Neben derartigen Konfrontationen, die queere Filme häufig auch als Auseinandersetzung um heterosexistische Diskriminierung und Homophobie bieten, gibt es viel Unterhaltsames (Chutney Popcorn, The Broken Hearts Club), Herzzerreißendes (And Then Came Summer, The Sissy Duckling), Erotisches (The Monkey's Mask, Gypsy Boys) und nicht zuletzt Sex: die „Gay Propaganda Night“ und für die Weiber „Reel Sex“.

Es könnte aber auch noch eine ganz andere Debatte um das Festival geben. Denn es gibt deutliche Kritik an der Konkurrenzpolitik des „verzaubert“-Veranstalters Rosebud Entertainment GmbH, der mit den Filmverleihen Erstaufführungs- oder Exklusivrechte aushandelt. Damit wird verhindert, dass bestimmte Filme auf anderen Festivals gezeigt werden können – brisant besonders bei populären Filmen, die auch den kleineren Festivals existenzsichernde Einnahmen bescheren. Das kommerziell orientierte Konzept gefährdet die Szene-organisierten lesbischen/schwulen Festivals und erschwert neue Initiativen. Nicht zuletzt dadurch, dass „verzaubert“ sich preist, ohne öffentliche Gelder auszukommen. Offenbar schert es nicht, dass eben dieses Argument zur Streichung von Förderungen für andere dienen könnte – naheliegend angesichts der vorherrschenden sexuellen respektive politischen Orientierungen im Hamburger Senat. Bleibt die Frage, wieviele KinofreundInnen ihren diesjährigen Etat für queere Schaulust schon verprasst haben. Es lässt sich aber vermuten, dass der Bedarf an queerer cineas-tischer Anregung noch nicht gedeckt ist. All denjenigen, deren Lüste erneut geweckt sind, die Entscheidendes verpasst haben oder trotz aller Kritik ihre Neugier nicht bändigen können, kommt „verzaubert“ sicher gelegen. Statt Konkurrenzangst zu schüren, sei hier eine unfriedliche Koexistenz zweier Festivals als Lösung propagiert: mehr Anlass für Kontroversen um filmische Repräsentationen sexueller Vorlieben, um die Dramen und Komödien queerer Partner- oder Elternschaften, um queere Politik – und ihre Finanzierung.

bis Sonntag laufen: Les terres froides, Johnny Greyeyes, Tropfen auf heiße Steine, Just One Time, La classe de neige, Liebe, Mut und Leidenschaft, Les déclassés, Birdcage Inn, My Femme Devine, Straightman, Heaven, Love=Me3, Red Dirt, Revoir Julie, O Fantasma, An Intimate Friendship, The Story of a Bad Boy, Presque rien, Zurück auf Los, Das Findelkind, El Mar, Eban an Charley, Les amantes criminels, If These Walls Could Talk 2, Sitcom, Ort und Zeit siehe Programm; weitere siehe www.queer-view.com/verzaubert oder Programmheft