Ein Stück Wiedergutmachung

■ Jeden Monat kommen Musikensembles zur Weltnacht in die Weserterrassen – und doch ist die Nacht mehr als ein Konzert

Schwarzafrikaner am Sielwalleck: frierend in irgendwelche pizzapissnelkig duftende Hauseingänge gezwängt, gelangweilt, verloren, männlich, fast ausschließlich männlich, manchmal auch auf der Suche nach Käufern für kreislaufregulierende Mittel. SchwarzafrikanerInnen ganz anders, nämlich an jedem ersten Freitag des Monats ein paar Ecken weiter im Bürgerhaus Weserterrassen: Entspannt mischen sie sich unters weiße, grüne, blaue Volk; schließlich sind die Publikumsmassen gekommen, um sich fremden Kulturen hinzugeben, und zu 50 Prozent sind es afrikanische. Hier werden sie nicht a priori abqualifiziert als Abgreifer von Staatsknete, hier treten sie auf als Angehörige von fesselnden Kulturen.

Seit 1993 gibt es meist zehn Mal im Jahr diese „soireé avec ambience“, wie die AfrikanerInnen das nennen. Film oder Vortrag, Konzert, landestypische Küche und Disco lösen einander ab bis in die Puppen. In einer Eigenbeschreibung der Weltnacht steht unter dem Stichwort „Zielgruppe“: „Die gesamte Bevölkerung“ – fast ein wenig euphorisch. Und in der Tat kauert bei den Konzerten vor der ersten Reihe meist eine Schar Kinder und quasselt manchmal hemmungslos in die Musik mittenmang. Und wenn zum Beispiel das indische „Musicensemble of Benares“ die Handgelenke verzwirbelt und mit den Fußschellen scheppert, dann ist im Publikum alles und jedes zwischen 0 und 80 Jahren da – und zwischen Kunsttöpfer, Physiklehrerin, indischem Unidozenten, Sparkassenmann in Rente und Algerier in Berufsausbildung.

„Einen Rahmen und einen Ort anzubieten, der der Bedeutung der in Bremen angesiedelten Vielfalt der Kulturen gerecht wird, ist unser erstes Anliegen“, meint Andreas Noack, der Organisator der Reihe. Der hat bei einem Praktikum (Biogasanlagenbau im Sudan) und später als Reisender das gesellschaftliche Leben einzelner Länder Afrikas kennen und lieben gelernt. Also mitbegründete er mit anderen Mitte der 80er Jahre das Informationszentrum Afrika (IAZ), das die Weltnacht quasi erfand.

Auf den üblichen verschlungenen Pfaden innerhalb des Sozialressorts landete Andreas Noack durch diverse ABM-und SAM-Maßnahmen beim Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung (biz) im Übersee-Museum. Ein wesentlicher Gedanke ist die Beteiligung der MigrantInnen an der Organisation: Kasse, Kochen, der Job des Türstehers. Natürlich sind sie auch die Herrscher über die Plattenspieler.

Bei der Hälfte der Nächte spielen MigrantInnen-Gruppen aus Bremen auf, und davon gibt es mehr als man denkt, so dass Andreas Noack nicht bange ist für das Programm der nächsten Jahre. Für die integrierten MigrantInnen ist Musikmachen eine Art Traditionsvergewisserung, für die, die draußen vor der Tür stehen und hier nicht arbeiten dürfen, ist es viel mehr: ein Sinngebungsinstrument. Vor fünf Jahren gab es mal statt Musik Theater: Die Gruppe nannte sich „Die Illegalen“. Und auch wenn viele berufstätige MigrantInnen zur Weltnacht erscheinen, ist sie doch ein Stück Wiedergutmachung für die bescheuerte Asylpolitik dieses Staates – an einem staatlich geförderten Veranstaltungsort.

Für die nicht wenigen binationalen Ehepaare ist die Weltnacht einer der wenigen Orte, wo beide Teile sich nicht deplatziert fühlen. Einseitig als Kontaktbörse wird sie von kaum jemandem verstanden. Vor fünf Jahren allerdings gab es mal einige Beschwerden von Frauen, die zu offensiv angebaggert wurden. Ein Plakat mit der Aufforderung an diese Frauen, sich bei jeder überzogenen Anmache ans Personal zu wenden, beruhigte aber sehr schnell die allzu eifrigen Jungs.

Multikulti ist die Weltnacht auch in Sachen Tanzstilen. Da trauen sich auch richtig miese TänzerInnen aufs Parkett – und das ist überaus sympathisch. Daneben gibt es echte BewegungskünstlerInnen, und zwar weiße, rote, türkisene, eben nicht nur schwarze, wie es ein Gerücht behauptet. bk

Die brasilianischen Tänzer-Choreografen Adenilson Cardoso und Claudio Paes zeigen mit ihrem Tanz- und Musikensemble Capoeira, Maculele-Sockkampf, Samba de Roda, u.a. Davor erzählt Mechthild Blumberg von der Uni Bremen über „Afrobrasilianische Religiosität im Widerstand“ (1.12, 20h)