„Das Wichtigste ist, Stellung zu nehmen und zu diskutieren“

Anders Högström gründete die Nationalsozialistische Front. Jetzt verhilft er in der Organisation „Exit“ Neonazis zum Ausstieg. Oberstes Prinzip ist Freiwilligkeit

KARLSKRONA taz ■ Mit 13 Jahren schmierte er sein erstes Hakenkreuz. Mit 19 gründete er die Nationalsozialistische Front in seiner Heimatstadt Karlskrona. Vier Jahre später galt die Stadt als Schwedens Neonazi-Hochburg. Anders Högström ist mittlerweile 25 Jahre alt. Vor einem Jahr machte er Schlagzeilen, als er den Neonazis den Rücken kehrte, seit zehn Monaten arbeitet er innerhalb der Organisation „Exit“ und hilft Faschos, auszusteigen.

Nach seinem spektakulären Abgang war es ruhig geworden in der rechten Szene der Stadt: zu viel Öffentlichkeit, zu großer Polizeidruck, viele seiner ehemaligen politischen Freunde zogen weg. Doch in letzter Zeit berichtet die Lokalzeitung von neuen Neonaziktivitäten am Gymnasium. Was können Eltern, LehrerInnen dagegen machen? „Man kann es nicht generell sagen“, meint Hagström. „Manche zerreißen die Nazibilder und Schriften und es hilft. Bei anderen nutzt es nichts. Das Wichtigste ist, Stellung zu nehmen und zu diskutieren. Einfach, verständlich, aber auch genau und ehrlich.“ Mit ihm hatte niemand diskutiert. „Als ich in der 6. Klasse ein Bild von einer Nazidemonstration an meine Schulbank pinnte, drehte die Lehrerin nur durch. Keine Erklärung, warum, nichts.“ Nicht dass er seiner Lehrerin die Schuld an seiner Entwicklung geben will: „Aber wenn Erwachsene nur Abstand von etwas nehmen, nur verdammen, nicht erklären – da sucht man eben seinen eigenen Weg.“

Bei Exit versucht man das Wort „gegen“ ganz zu vergessen. Hagström: „Wir sprechen mehr über das Für als das Gegen. Viele kommen ja zu den Nazis, weil sie einen Halt suchen, eine Struktur. Auch wenn sie abspringen, suchen die meisten immer noch nach so etwas. Das muss man auffangen.“ Man versuche, Leute zum Ausstieg zu bringen, nicht zu verurteilen oder zu bewerten: „Wenn jemand eine Veränderung will, dann gibt es uns eben. Als Möglichkeit. Als Alternative. Aber wollen muss man es selber. Das ist wie aufhören mit Trinken oder Rauchen. Die Motivation muss da sein.“ Bei ihm war es das Entsetzen über die Gewalttaten: „Wir sprachen so viel von Schweden. Dass wir die Elite sind. Und da lagen dann zwei schwedische Polizisten auf der Straße. Familienväter. Erschossen von Leuten von uns.“ Das Umdenken ging langsam vonstatten. Aber eines Tages hatte Hagström sich entschieden: Ausstieg. Ein Neuanfang.

Mit der gleichzeitigen Veröffentlichung seines „Steckbriefs“ in der Presse hätte das nichts zu tun gehabt: „Mein Bild war schon vorher oft in den Zeitungen. Das war nichts Neues. Nicht für mich. Vielleicht für andere.“ Hagström war sechs Jahre Führer der Nationalsozialistischen Front, hielt Reden über die bevorstehende „Machtübernahme“. Wie hätte die denn vonstatten gehen sollen? Hagström zögert: „Na ja, so sehr ist man in solchen Organisationen ja nicht in der Realität verankert. Aber es gibt viele verrückte Gruppen, die irgendwann an das glauben, was sie sagen. Und die Geschichte zeigt, dass eine Lüge zur Wahrheit werden kann, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Der Nazismus ist eine Art Religion. Man glaubt daran.“ Spürt Hagström rückblickend Verantwortung, hat er ein schlechtes Gewissen? Schließlich gibt es da ein Vorstrafenregister mit 13 Verurteilungen wegen vorwiegend politisch motivierten Straftaten. „Nichts kann ungeschehen gemacht werden. Aber meine Erfahrung will ich für etwas Positives verwenden.“

REINHARD WOLFF