Kanzler für glückliche Kühe

BSE im Bundestag: Gerhard Schröder verlangt Abkehr von den „Agrarfabriken“. BSE in Brüssel: EU-Kommission will „vorübergehendes“ EU-Verbot von Tiermehl und irgendwann BSE-Tests

BERLIN/BRÜSSEL taz ■ Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) entdeckt seine Liebe zur Öko-Landwirtschaft. Anlässlich der BSE-Debatte sagte er gestern im Bundestag, man dürfe es nicht allein bei der Aufdeckung und Bekämpfung der Seuche belassen, sondern müsse wegkommen von den „Agrarfabriken“. Seine Ehefrau Doris hatte Anfang der Woche in einer Bild-Kolumne ihre Sorge um den Genuss von Rindfleisch und Teewurst niedergeschrieben.

Ähnlich leidenschaftlich verlangte der Kanzler gestern eine Umkehr in der Landwirtschaft: „Wenn wir es jetzt nicht schaffen, werden wir es nie mehr schaffen.“ Der Fraktionschef der Union, Friedrich Merz, versprach Schröder die Zustimmung für ein gesetzliches Verfütterungsverbot von Tiermehl. Dies soll noch heute im Bundestag verabschiedet werden und morgen den Bundesrat passieren.

Merz wandte sich indirekt gegen einseitige Schuldzuweisungen an die rot-grüne Regierung, wie sie der frühere Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) in der Presse geäußert hatte. „Wir waren alle daran beteiligt, dass die Agrarpolitik sich in dieser Richtung entwickelt hat.“

Der wegen seiner zögerlichehn Haltung in die Kritik geratene Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) lehnte gestern einen Rücktritt ab: „Ich sehe überhaupt keinen Grund dafür.“ Kanzler und SPD-Fraktion stünden hinter ihm. „Da gibt es gar keine Zweifel.“ Zum Vorwurf der Verharmlosung von BSE erklärte Funke, dann hätten auch alle seine Vorgänger in früheren Regierungen verharmlost.

Auch die EU-Kommission meldete sich gestern zu Wort. Die für Landwirtschaft und Verbraucherschutz zuständigen Kommissare Fischler und Byrne forderten gestern in Brüssel, die Verbraucher nicht zu verwirren und das Vertrauen wiederherzustellen. Dafür schlugen sie aber ihrerseits sehr verwirrende und wenig Vertrauen erweckende Maßnahmen vor. In der Routinesitzung der Kommission wurden nämlich zunächst die Entscheidungen der letzten Woche formal abgesegnet: Risikotiere werden ab 1. Januar, alle mehr als 30 Monate alten Rinder ab 1. Juli getestet. Gleichzeitig aber einigte sich das Gremium auf viel weiter gehende Vorschläge, die schon kommenden Montag von den Landwirtschaftsministern beschlossen werden sollen: Danach sollen sämtliche Tiere nicht erst ab Juli, sondern schon ab Januar getestet werden. Tiere ohne Test sollen aufgekauft und vernichtet werden.

Tiermehl soll „vorübergehend“ ganz aus der Nahrungskette verbannt werden. Sämtliche Innereien sollen zusätzlich zu den schon verbotenen Risikomaterialien Hirn, Augen und Rückenmark vernichtet werden. Um die geschädigten Landwirte zu entlasten, schlägt die Kommission eine Erhöhung der Vorauszahlung für Viehprämien von sechzig auf achtzig Prozent vor. Der Rinderpreis soll durch staatliche Aufkäufe gestützt werden.

Die Kosten für die Entsorgung des – von Greenpeace als „Sondermüll“ eingeordneten – Tiermehls schätzt Agrarminister Fischler auf 3 Milliarden Euro. Der Verlust für die Futterindustrie könnte bei 1,5 Milliarden Euro liegen.

Bundeslandwirtschaftsminister Funke bezifferte die Kosten der Tiermehlvernichtung für Deutschland gestern auf rund eine Milliarde Mark pro Jahr. Im Übrigen ließ er verlautbaren, er werde weiterhin Rindfleisch essen – allerdings nur Muskelfleisch. Die bundesdeutsche Bevölkerung reagiert anders: Ein Drittel wolle zukünftig gar kein Rindfleisch mehr essen, ergab eine Forsa-Umfrage. Ein Viertel der Bevölkerung fühle sich stark BSE-gefährdet.

SEV, PAT, DPS

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