Helmut Kohl mit Sahnehäubchen

Hunderte kamen zur ersten Signierstunde des Tagebuchs von Helmut Kohl. Doch nicht alle waren ihm wohl gesinnt: Ein Mann warf eine Torte, und eine Frau ließ ihn eine Grußadresse an die „Revolutionären Zellen“ unterschreiben

Gestern Nachmittag bei Dussmann in der Friedrichstraße: Helmut Kohl lud zur ersten Signierstunde für sein kürzlich erschienenes Buch, „Mein Tagebuch 1998–2000“, und Hunderte Menschen strömten Richtung Wasserfall im Kulturkaufhaus in der Friedrichstraße. Während die meisten etwas von ihm wollten – eine Signatur –, hatte ein junger Mann ihm etwas mitgebracht: eine kleine Torte. Doch weil er diese statt auf dem Tisch auf dem Jackett des ehemaligen Bundeskanzlers platzierte, wurde er im Handumdrehen abgeführt und die Signierstunde unterbrochen. Nachdem eine Frau den Ehrenbürger Europas mit einem Handtuch von der weißen Creme gesäubert hatte, war Kohl nach nur wenigen Minuten wieder ganz der Alte. „Nun lasst doch die Leute endlich rein!“, rief er mürrisch.

Doch das war nicht der einzige unerhörte Vorgang während der Signierstunde: Wer Kohl Untreue gegenüber der CDU vorwirft, macht sich seit gestern geradezu lächerlich. Denn diese Anschuldigung ist nichts im Vergleich zu dem, was er kurze Zeit vor dem Tortenwurf tat. Kohl unterschrieb eine Grußadresse an Zeitgenossen, die wie er die Aussage verweigern – an die „Revolutionären Zellen“ (RZ). Einige Mitglieder sitzen im Knast und schweigen zu den ihnen zur Last gelegten Anschlägen in den 70er- und 80er-Jahren.

„Für RZ-Gefangene“ stand über einem Foto von Kohl auf zwei DIN-A4-Blättern, die ihm eine junge Frau mit violettem Haar zur Unterschrift vorlegte. Und: „Helmut Kohl verweigert die Aussage. Anna und Arthur natürlich auch.“ Diesmal wird sich Kohl damit herausreden können, wirklich nichts von gewusst zu haben. Denn ohne den Text gelesen zu haben, hatte er seine Unterschrift darunter gesetzt. „Er sah sein Foto und hat einfach unterschrieben“, jubelte die 23-jährige Anglistikstudentin, die sich diesen Scherz erlaubt hatte und bekannte, „für die Freilassung politischer Gefangener“ zu sein. Auch wenn sie bei Kohl an der falschen Adresse war, hat sie jetzt zwei Weihnachtsgeschenke. Mit einem Exemplar bestraft sie ihren Vater – „Der ist Kohlfan!“ –, mit dem zweiten beglückt sie ihre WG.

Während Hunderte junger und alter Menschen geduldig Schlange standen, um „ihren“ Helmut Kohl in Plastiktüten nach Hause zu tragen, beobachteten zwei Männer, die aus Potsdam angereist waren, mit grimmiger Miene das Szenario. Alle bekamen ihr Autogramm, nur sie gingen leer aus. Der Grund: Die beiden – von Beruf Kabarettisten – wollten dem promovierten Historiker „das wahre Tagebuch“, ein Fake à la Kujau, unterjubeln. „Er hat gesagt, dass er nur signiert, was er kennt“, erzählte einer von ihnen zerknirscht.

Wahr oder nicht: Dussmann freute sich bereits gestern über „das am besten verkaufte Politikerbuch des Jahres“. Damit liegt es vor den Büchern von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble.

B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA