Mit Klauen und Zähnen

Zwischen Siegfried Unseld und seinen Verlag soll kein edition-suhrkamp-Bändchen passen. Der Patriarch trennt sich von seinem Programmchef

Siegfried Unseld, den alle hinter vorgehaltener Hand nur „den Patriarchen“ nennen, scheint keine Neugier darauf zu haben, wie ein nicht von ihm allein geleiteter Suhrkamp-Verlag aussehen könnte.

Nun hat er also mit Christoph Buchwald den vierten Kronprinzen in acht Jahren verschlissen; zum Ende des Jahres wird Buchwald den Verlag verlassen. Damit ist klar: Eine wirkliche Nachfolgeregelung wird es frühestens nach dem Tod Unselds geben. Und vielleicht nicht einmal dann. Die Stiftung, an der gerade mit Hochdruck gearbeitet wird und in der nach Unselds Tod seine Ehefrau Ulla Berkewicz die Federführung übernehmen soll, lässt sich dahingehend verstehen, dass Unseld seinen Einfluss noch über seinen Tod hinaus sichern will. Zwischen diesem Verleger und diesem Verlag soll für alle Zeit kein edition-suhrkamp-Bändchen passen.

Es hat sich in den Kommentaren der vergangenen Jahre eingefahren, diesen Nachfolgerverschleiß aus der Psyche Siegfrieds Unselds zu erklären. Die Pietät kurz beiseite gelassen, könnte man ja durchaus auf den Gedanken kommen, dass hier ein König am liebsten sein Königsreich mit in sein Grab nehmen wollte. In der Sprache unserer heutigen durchpsychologisierten Redeweisen wird man Unseld auf alle Fälle als jemanden bezeichnen, der nicht loslassen kann.

An der erwiesenen Unfähigkeit der Kandidaten können die Zerwürfnisse jedenfalls nicht gelegen haben: Joachim Unseld, Thedel von Wallmoden und Gottfried Honnefelder, die vor Buchwald unter Unseld Verlagschefs waren, genießen durchaus das, was man einen Ruf nennt. Christoph Buchwald selbst gehört zu den angesehensten Lektoren, die wir hierzulande haben. Nur: So hart man auch sein kann, Unseld ist immer noch härter.

Diese psychologische Sicht hat viel für sich. Es wäre aber auch eine Überlegung wert, noch ein zweites Erklärungsmodell hinzuziehen: Vielleicht ist es ja wirklich so, dass Siegfried Unseldfür einen Literaturbegriff steht, der keinen zweiten neben sich dulden kann. Vielleicht kann man, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen, wenn man mit Emphase Volker Braun verlegt, nicht auch noch junge, postmoderne Amerikaner verlegen. Wie er zuletzt in seiner Büchnerpreis-Rede zeigte, steht Braun für eine Literatur, die sich als Gegenspielerin der „Gesellschaft“ versteht. Das ist eine Redeweise, in der Unseld sich wohlfühlt. Dass es aber kein Außen der Gesellschaft gibt, auch für die Literatur nicht, mit dieser Einsicht kann er wahrscheinlich gar nichts anfangen.

Man redet ja immer ein bisschen leichtfertig von der deutschen Literatur. Dass mitten durch sie hindurch gerade ein großer Riss gehen könnte, der auch im Hintergrund der aktuellen Suhrkamp-Personalien steht, daran scheint man sich nicht recht zu gewöhnen. Unseld ist jemand, der vom „Werk“ eines Autors spricht; für den ein Schriftsteller jemand ist, der es immer war und immer sein wird; für den eine Wendung wie die von der „Republik des Geistes“ nicht fremd ist. Da steckt noch eine Menge von Genieglauben drin. Christoph Buchwald ist nun keinesfalls genau das Gegenteil davon, aber er funkt auf einer anderen Wellenlänge. Er war angetreten, um den Suhrkamp-Verlag wieder an die aktuellen literarischen Debatten anzuschließen. Das hat Unseld nun unterbunden.

Nach einer derzeit gängigen Redeweise gibt nur zwei Sorten Verleger: die großen unabhängigen Verlegerpersönlichkeiten (gut) und die Buchkaufleute (böse). Die Frankfurter Ereignisse geben Anlass, hier ein wenig Differenzierung einzuführen. Es gibt eben auch Verleger, die für verschiedene Programme stehen. Unseld, 76 Jahre alt, verteidigt sein Programm mit Klauen und Zähnen. DIRK KNIPPHALS