Wüten hilft

Melancholie kann schön sein. Manchmal. Die Schwierigkeit ist, nicht in Schwermut zu versinken. Der Grat zwischen Melancholie und selbstzerstörerischer Einsamkeit ist schmal. Man muss sich die Hintertür offen halten, damit man auch wieder zurück nach draußen und zu den Menschen findet.

Irgendwann kommt die Angst, dass die Tristesse bleibt. Kann man sich überhaupt jemals wieder freuen? Wann kann man sich wieder mit Freunden unterhalten, ohne alles, was sie sagen, als oberflächlich zu empfinden? Irgendwann hat man genug Melancholie gehabt und will wieder leben.

Mag auch manch anderer Tipp gegen die Melancholie recht zweifelhaft sein, ein Rezept ist nicht falsch: Toben ist wichtig! Wenn einen gar nichts mehr freut, das Bett langsam schon anfängt zu müffeln, die Umgebung den Eindruck erweckt, es gebe keine andere Farbe mehr als Grau, und wenn alle Menschen ekelhaft sind, hilft nur eins: wütend werden. Und zwar so richtig. Und (laut!) New Model Army hören.

Ob der Text der gedrückten Stimmung entspricht, ist dabei zweitrangig. Viel wichtiger ist, dass Rhythmus und Melodie ein herzhaftes Mitgrölen ermöglichen. Gute Dienste leistet zum Beispiel „Poison Street“ vom Album „The Ghost of Cain“ (1986), wobei der Text in diesem Fall sogar durchaus passt: „We were singing in the rain / Like we invented singing / There’s a light in the sky / From a million street lights / And we danced all the steps / From all those old time movies / Rolling down the hill / With laughing hearts / In Poison Street they guard the gates / With bitter, bitter tongues / In Poison Street we’ll laugh out loud / Till the shadows go melt away.

Schöne Erfolge erzielt man auch mit Musik von Frauen, die stark machen. Skin, die Sängerin von Skunk Anansie, hat ein Händchen für Texte, die die geschundene Seele pflegen und den Hörer/die Hörerin aus der selbstmitleidigen Stimmung reißen. „Weak“ von der CD „Paranoid and Sunburnt“ (1995) ist auch ein perfektes Stück zum Mitgrölen (vorzugsweise wenn gerade die „Keiner will wissen wie’s mir wirklich geht“-Stimmung vorherrscht): „And now I sit here all alone / So here sits a fucking mess, tears fly home / A circle of angles, deep in war / Cos I wanted you / Weak as I am, No tears for you / Weak as I am, No tears for you / Deep as I am, I’m no ones fool / Weak as I am.

Skins Wut tut gut. Sie gibt was ab von der Energie ihrer Stimme. Mit Skin im Kopf kann einem keiner mehr was. Die Stimmung schlägt in die andere Richtung aus, um sich danach wieder ungefähr in dem Bereich einzupendeln, wo sie vor der melancholischen Krise war.

Ist dieser Punkt erst wieder erreicht, geht das Gegröle allerdings ziemlich schnell auf die Nerven. Dann kann man seinen CD-Player getrost wieder mit Pop füttern und beispielsweise eine Platte des englischen Sängers Seal auflegen, der im Song „The Beginning“ auf seinem Debütalbum „Seal“ (1991) singt: „Music takes you round and round and round and round and round“. Wie wahr.

DOROTHEE CHLUMSKY