Trauriges Afrikatier mit Gasmaske

■ Zersetzend: Farid Nagims „Schrei des Elefanten“ an der Thaliabühne Gaußstraße

Das Leben ist schon ernst genug. Da muss man nicht auch noch die Schauspieler aseptisch-bierernst auf die Bühne stellen, nur um des Menschen Autismus zu demons-trieren. Man könnte sie Beziehungsnuancen auch einfach spielen lassen und Metaphern auf einer anderen Ebene bieten. Wie Armin Petras in seiner Inszenierung von Farid Nagims Schrei des Elefanten an der Thaliabühne Gaußstraße, die sich erdreistet, das Publikum in längst verpönte Ären locken und nicht einmal vor gegenständlichen, neosachlich bis surreal angehauchten Bühnenbildern (Natascha von Steiger) zurückschreckt.

Der junge Anwar und der ältere Suchodolow bewohnen eine aus DDR-Schrankwand und Pappkartons gebaute Datscha, Suchodolow liebt Anwar, und ob der nur wegen der Wohnung bleibt, bleibt dunkel. Susanne Wolff spielt überzeugend unentschlossen den homosexuellen Anwar, der zwischen Dorf und Moskauer Junkie- und Schriftstellermilieu pendelt und doch nirgends eine ihm gemäße Realität vorfindet: Suchodolow (Markwart Müller-Elmau) mit seiner hilflosen Liebe geht Anwar mit seinen KGB-Geschichten mächtig auf die Nerven, die Jungen – Ilja, Jura und Pascha – suchen die Flucht im „Mohnkuchen-Rausch“.

Die Frage bleibt dabei immer, wann man endlich im richtigen Tagtraum angekommen ist oder ob man sich ewig – wie die Figuren im eleganten Wechsel zwischen szenischem Spiel und Russland persiflierenden Tanz und Gesang – im Kreise drehen. Ob man ewig zwischen möglichen Realitätsebenen changieren wird, die sofort wieder entlarvt, verfremdet und gebrochen werden können. Und wohin der Zug, in den sie immer wieder steigen, überhaupt fährt. „Ich nehme mal den hier, ist ja nichts anders da“, ruft, verzweifelt-pragmatisch, Anwars Freund Pascha (Stephan Johannes Richter) in die Welt.

Klischees von „Mütterchen Russland“ wirft Petras dem Publikum zum Fraß vor, lässt Anwar wie den berühmten Märchen-Iwan auf den Ofen klettern und alle bis zum Erbrechen Fellmützen tragen. Im selben Atemzug pflücken die Figuren einander die Zukunftsklischees auseinander, ohne eine Lösung zu finden. Denn was hat Anwar – außer distanzierter Beobachtung des turbulenten Geschehens um ihn herum – denn anzubieten? Was kann er mit Suchodolows „schutzloser Liebe“ anfangen ? Beziehungs-, bindungslos ist Anwar, der – aber er sagt es nur einmal! – „zerspringen müsste, wenn ich liebte“.

Auf welcher Ebene können sie also einander und den Alten begegnen, die jungen Leute in Nagims Stück? Petras hat die Antwort in vieldeutigen Bildern verweigert: hat den Elefanten mit ewig-gestriger Gasmaske rumlaufen lassen, den Goldenen Schuss als dali-artiges Fanal inszeniert und die erlösenden Bahngeleise als schlaffe, den Menschen mit Mühe tragende Seile präsentiert. Und die Akteure auch das wieder brechen lassen: „Das sollen Schienen sein? Sieht ja eher aus wie Kordeln!“, schreit Pascha, versucht aber doch, sie irgendwie zu durchklettern. Und Anwar bleibt derweil – in einem abschließenden Konfettischnee-Delirium, untermalt vom Marie Laforets Lied Viens von Marie Laforet – bei Suchodolow. Nicht, weil er ihn liebt. Aber weil er ihn begriffen hat. Petra Schellen

Weitere Vorstellungen: 5., 6., 28., 29. 12., 20 Uhr, Thaliabühne Gaußstraße 190