„Nur die taz hat keine Angst “

Daniel Cohn-Bendit weiß, warum taz sein muss – und wie: scharf, ironisch und weniger kindisch

Interview EBERHARD SEIDEL

taz: Herr Cohn-Bendit, sind die Grünen und die taz Eingenerationenprojekte, die sich historisch schon bald erledigt haben? Manche behaupten das.

Daniel Cohn-Bendit: Die Frage ist durchaus berechtigt. Allerdings hat die taz in der Erneuerung ihrer Journalisten mehr Transformationsfähigkeit gezeigt als die Grünen. Generell ist es für die taz heute sicherlich schwieriger, neue Leserschichten zu mobilisieren, und es stellt sich die Frage, ob sich eine Zeitung heute nicht noch radikaler ändern und entwickeln muss als zum Beispiel vor zwanzig Jahren, als die taz gegründet wurde.

In welche Richtung und zu welchem Zweck?

Die taz sollte intellektuell den Anspruch haben, mit den Feuilletons der FAZ und der Zeit zu konkurrieren. Das heißt, sie muss die Produktivkraft der Intellektuellen und der Künstler für sich mobilisieren und ein Forum sein, bei dem es nicht darum geht, eine Nischenkultur zu verteidigen, sondern die verschiedenen Ebenen des kulturellen Ausdrucks und der Auseinandersetzung aufzugreifen. Hier glaube ich, ist noch viel zu tun.

Anders als vor ein paar Jahren stellen die Intellektuellen, die Sie ansprechen, ihre Produktivkraft lieber Zeitungen zur Verfügung, die zum einen besser bezahlen als die taz und die man zum anderen für seriöser und erwachsener hält.

Das ist ein Problem, das ich nicht leugnen möchte. Wenn es der taz allerdings gelingt, sich als offenes Meinungsforum zu etablieren, das sich nicht durch Ideologien blockiert, dann hat sie eine gute Chance, neben den anderen Zeitungen als unersetzliches Meinungsforum zu existieren.

Um diese Offenheit bemühen wir uns jeden Tag, und sie wird von alten Weggefährten keineswegs immer honoriert. Beispiel Joschka Fischer: Ohne taz wären die Grünen und er nicht dort, wo sie heute sitzen – in der Regierung. Aber als Außenminister setzt Fischer doch lieber auf FAZ als auf taz.

Das glaube ich nicht. Aber sicherlich wäre eine Kampagne sinnvoll und nötig, um Leute wie mich, die eine Zeit lang eine gewisse Distanz zur taz gehabt haben, wiederzugewinnen.

Sollen wir Fischer umzärteln?

Das nicht, aber die taz muss auch etwas tun. Den ironisch-kritischen Unterton über jeden und jede finde ich okay. Aber es gibt etwas darüber hinaus, was am Beispiel Joschka deutlich wird. An ihm reiben und messen sich Journalisten, die die Veränderung, die die Grünen durchlaufen haben, noch nicht verkraftet haben. Die taz muss ihre Schärfe und Ironie und Kritik behalten, aber sie muss lernen, dabei nicht kleinkariert und kindisch zu werden.

Ist es wirklich so schlimm?

Man kann ironisch und scharf sein, aber ihr pflegt gerade gegenüber Joschka so eine Dauerattitüde. Das wird langweilig.

Auf der anderen Seite scheinen eine Reihe von Grünen noch nicht begriffen zu haben, dass sie jetzt Mitglied einer Regierungspartei sind und deshalb von der taz anders betrachtet und behandelt werden als zu Zeiten der Opposition.

Ich will nicht leugnen, dass es für jeden, der handelt, schwierig ist, Kritik auszuhalten. Gleichzeitig muss die taz endlich sehen, dass ein Außenminister Fischer nicht das Gleiche ist wie ein Außenminister Kinkel.

Im Zeitalter des neuen Pragmatismus machen alle fast alles. Die CDU und die SPD vertreten grüne Themen, die Grünen greifen konservative auf, und viele orginäre taz-Themen werden heute von Zeitungen wie der Süddeutschen aufgegriffen . . .

. . . das stimmt nicht. Das Feuilleton der SZ ist politisch so korrekt, dass es vor Langeweile strotzt. Der Rahmen des FAZ-Feuilletons ist klar abgesteckt, es ist Liberalismus in eingeschränktem Rahmen. Wir könnten so weitermachen. Ihre These stimmt wirklich nicht. Auch die ironische Distanziertheit, die zum Beispiel in die taz-Überschriften hineinkommt, ist unvergleichlich. Wenn die anderen die taz nun kopieren, heißt das noch lange nicht, dass sie das wirklich übernommen haben. Die Kopie ist immer schlechter als das Orginal.

In der Welt, der Berliner Zeitung und dem Tagesspiegel betreuen heute Redakteure, die früher die Meinungs- und Debattenseite der taz produzierten, die Kommentarseiten. Ist das nicht der Beweis, dass heute überall taz möglich ist?

Nein. Es sagt doch nur, dass man in anderen Zeitungen offensichtlich das Konzept der offenen und kontroversen Meinungsseite der taz im Rahmen der eigenen begrenzten Möglichkeiten zu kopieren versucht. Mehr nicht.

Herr Cohn-Bendit, welche Zeitungen sind für Ihren Meinungsbildungsprozess wichtig?

In Deutschland sind die taz, der Spiegel und die Zeit wichtige Bezugsquellen. Dann lese ich noch die FAZ und die Frankfurter Rundschau. Letztere ist gerade im Lokalteil zum Teil unerträglich geworden. Darüber hinaus lese ich Herald Tribune, Libération, Le Monde, El País und la Repubblica.

Das hört sich so an, als wäre die taz das kleine Sahnehäubchen, das man sich als Europapolitiker, der zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland herumwandert, leistet . . .

. . . keineswegs. Die taz ist eine der wenigen Zeitungen, die versucht, den Bogen zwischen Bewegung, Nischenrealität, avantgardistischer Realität und hoher Politik zu schlagen. Das ist notwendig, auch wenn es mich im Ergebnis manches Mal wahnsinnig ärgert. Zum Beispiel finde ich die bezahlte vierseitige Solidaritätsanzeige zu den Revolutionären Zellen (RZ) einen Wahnsinn. Da wundere ich mich doch, wie unkritisch die taz ist, nur weil sie glaubt, diesen Bewegungsbogen hinkriegen zu müssen. Bei aller Solidarität darf man die RZ nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, und man muss sich fragen: Welche Verbrechen und Morde wurden im Namen der RZ verübt? Da ist mir die taz manchmal zu naiv.

Andererseits hat die taz in den 90er-Jahren wichtige Debatten geprägt, zum Beispiel die Golfkriegs-Debatte, die Diskussion um das ehemalige Jugoslawien, um den Kosovokrieg, die Diskussion um die multikulturelle Gesellschaft, um den Rechtsextremismus.

Das ist die Stärke der taz. Sie ist in Deutschland die einzige Zeitung, die keine Angst vor Debatten hat, seien sie noch so schwierig. Sie hat keine Angst, zu fragen: Ist das NPD-Verbot der Weisheit letzter Schluss? Sie versucht, alle Korrektheiten zu hinterfragen, egal ob es eine grüne, eine liberale Korrektheit ist. Das ist das Spannende an der taz, wenn es auch manches Mal nervt.