Dodo versus Zuchtbulle

Hertha BSC steht wieder an der Tabellenspitze der Bundesliga: Zwar endet das Duell mit dem SC Freiburg unentschieden 2:2. Doch der Kampf ums Dasein in Fußballland braucht Sieger und Verlierer

von MARKUS VÖLKER

Ob die drei älteren Herren in Block 7, Reihe 11, Platz 13, 14, 15 wohl das Schicksal des Dodo bedachten? Sinnierten sie über die Endzeit bedrohter Arten, ertönte in ihnen vielleicht sogar der Gong zur entscheidenden Runde im Kampf des Daseins? Nein. Die drei auf der Tribüne des Olympiastadions hockten noch minutenlang nach Schlusspfiff auf ihren Plastiksitzen und waren eher vom unmittelbaren Geschehen, das Schiedsrichter Markus Merk soeben beendet hatte, in Mitleidenschaft gezogen, als vom Ursprung und Überleben der Spezies. „Das darf doch nicht wahr sein“, sagte der eine. „Hatten die eine Angst“, der andere. „Das kannste doch vergessen“, analysierte der Dritte.

Hertha hatte in den letzten Minuten der Partie Glück gehabt. Der eine Punkt brachte Berlin wieder an die Tabellenspitze der Bundesliga. Aber gegen wen büßten die Berliner zwei wichtige Punkte ein? Freiburg, natürlich. Mit Trainer Volker Finke. Den auch die drei vom Block 7 kannten. Ja, da war doch was mit Solardach im Dreisamstadion, mit Förderung der Jugend und genau: Multikulti-Öko. Ach, und: Ein paar der Freiburger Spieler radeln tatsächlich zum Stadion, wo die Herthaner sich im Gegensatz Woche für Woche an der Simulation eines Diplomatenkonvois versuchen. Die Altfans hatten sich überdies in einer Berliner Zeitung über das Treiben des SC Freiburg informiert; Finke hatte ein Interview gegeben und die denkwürdigen Worte gesprochen: „Es ist eine bösartige Unterstellung, dass man darwinistisch glaubt, ein Bild vom Menschen zu haben: immer höher, immer weiter. Immer reicher. So bin ich nicht.“

So sind sie nicht, die Kicker aus dem Breisgau.

Hertha ist so. Beziehungsweise: will so sein. Der Zuchtbulle der Bundesliga, der Selektionsgewinner beim Gerangel balltreibender Arten. Freiburg mochten Beobachter die Rolle des Dodo zuerkennen, eines putzigen Vogels, der zu dick zum Fliegen und dessen Zierde ein absurder Schnabel ist, der ihn süß und dümmlich aussehen lässt. Nun muss man einräumen, dass der Dodo leider ausgestorben ist, wie auch der nette Riesenalk, die träge Stellersche Seekuh oder das tapsige Moa. Andere, Stärkere haben sich durchgesetzt. Arten, die groß gewachsen sind und durch robustes Auftreten imponieren. Trainer Finke, doch vom evolutionären Prinzip durchdrungen, sagte nach dem Match: „Gegen die groß gewachsenen Hertha-Spieler mussten wir mit unseren kleinen Leuten ran, um in den Strafraum zu kommen, denn es gab für uns mindestens ab Mitte der ersten Halbzeit keine Kontersituation mehr.“ Wo sie doch kontern wollten, falls Hertha das Spiel machte. Weit gefehlt.

So mühten sich also die Kleinen gegen die Großen ab. Die Großen köpfelten freilich nach Belieben, dafür entdeckten die Kleinen, berüchtigt für ihre technische Versiertheit, den Kampf – mit energischen Tacklings und krachenden Grätschen. Dennoch stand es alsbald 2:0 für die heimische Mannschaft durch Tore von René Tretschok per Elfmeter und Eyölfur Sverrisson. Régis Dorn traf noch vor der Pause zum 2:1. Levan Kobiashvili durfte dann auch freistehend aus elf Metern ran und traf ausgleichend.

In Freiburg versteht man es, sich gegen die normative Kraft der Stammesgeschichte zu stemmen. Mit der Erschaffung einer eigenen Welt, in der der Dodo ein Biotop erhält und wo laut Finke „paradiesische Zustände“ herrschen, zudem „Lebensqualität“ und „Freude pur“. Und alldies nur, weil man die Prinzipien des Aussterbens ignoriert, als da, frei nach Charles Robert Darwin, wären: Verdrängung durch konkurrenzüberlegene Formen (Bayern, Leverkusen, Hertha); zu einseitige Spezialisierung (Cottbus); starke Umweltveränderungen (Cottbus); Weiterentwicklung innerhalb der eigenen Gruppe (Daum, Beckenbauer, Basler).

Freiburg hat gelernt, nicht zimperlich zu sein. Mit 34 gelben Karten steht der Verein vor den Herthanern (27). Und auch der Manager der Berliner, Dieter Hoeneß, schien vom Auftreten der bedrohten Art aus dem Südwesten Deutschlands durchaus beeindruckt. Zwar sei Hertha BSC mit den „eigentlichen Zielen“ sehr gut im Plan, aber: „Um eine dominierende Rolle ganz vorne spielen zu können, sind wir noch zu schwach.“ Was vielleicht nur an mangelnder Zuchtauswahl liegen mag. Oder so.

Hertha BSC: Kiraly - Rehmer, van Burik (61. Daei), Schmidt - Deisler, Dardai, Wosz (82. Roy), Tretschok, Hartmann - Preetz, Sverrisson SC Freiburg: Golz - Kondé, Hermel (73. Weißhaupt), Diarra - Willi, Zeyer, Kehl, But (51. Baya), Kobiashvili - Dorn (46. Iashvili), SellimiZuschauer: 28.191; Tore: 1:0 Tretschok (28./Foulelfmeter), 2:0 Sverrisson (29.), 2:1 Dorn (35.), 2:2 Kobiashvili (73./Foulelfmeter)