auf augenhöhe: Seufz, oh Mann, die Schiffer
PHILIP MEINHOLD über die neue Werbekampagne von H & M und wie halb Berlin darauf starrt
Ich Trottel stolpere über die Bordsteinkante. Was in aller Öffentlichkeit sowieso nicht gerade erstrebenswert ist. In meinem Fall ist es so unangenehm, wie der Grund offensichtlich ist: Das neue H & M-Plakat, Claudia Schiffer im Liegen. Ich war halt etwas überrascht, Claudias Slip plötzlich direkt neben meinem Kopf zu haben. Und gebe zu: Ich bin da recht einfach gestrickt. Wahrscheinlich verhalte ich mich genau so, wie es sich die Werbemanager ausgedacht haben: Wir brauchen eine Plakatkampagne, bei der sich die Männer auf die Fresse packen.
Was schon seit Jahren vor den gleichen Plakaten passiert: Supermodel vor weißem Hintergrund, daneben in großer Schrift ein wahnwitzig kleiner Preis. Unten rechts noch das Firmen-Logo. Das erste Mal zu sehen im Jahr 91, mit Cindy Crawford in Unterwäsche. Es folgten Naomi Campbell und Pamela Anderson, Selma Hayek und Patricia Arquette und etliche andere mehr. Und jetzt, ein Jahrzehnt später, schließt sich der Kreis: Claudia Schiffer im String. Entgehen kann man ihr nicht. Sie hängt auf Großplakaten und an Bushaltestellen, an Litfasssäulen und auf U-Bahnhöfen. An Kudamm und Friedrichstraße verdeckt sie Fassaden. Sie ist das „Wetten dass ...“ der PR-Kampagnen: Jeder hat’s gesehen, alle sprechen drüber.
Wir kommentieren in Ein-Wort-Sätzen. „Oh Mann“, sagen wir. Oder sprechblasenartig schlicht: „Seufz!“ Längstenfalls gibt es ein: „Das gibt’s doch gar nicht.“ Wir schütteln dabei unseren Kopf. Womit wir vor allem eines beschreiben: Wie unerreichbar das Glück für uns ist. „Kult-Plakate“, schreibt die Presse dazu. Verantwortlich für Verkehrsunfälle. Aus Schaukästen werden sie angeblich gestohlen, die Druckereien bewacht. Sicher ist: Sie haben es zur gängigen Zimmer-Deko gebracht – in den Wohnungen männlicher Singles. Statt schwarzem Che auf rotem Grund hängen nun H & M-Models über dem Bett. Eine Mischung aus Bravo-Starschnitt und Playmate des Monats. Klauen muss man die Plakate jedenfalls nicht. In klein gibt es sie als Werbegeschenk, in groß bei den lokalen Plakat-Aufstellern. Kostenlos nach dem Schluss der Kampagne.
Auch in meiner Küche hängen zwei der Plakate – zwei kleine, für große reicht meine Küche nicht aus. Zwischen Brotkasten und Radio lacht Wynona Rider sehr nett. Über dem Kühlschrank kniet ein Model im Trägerhemd. Anfangs waren mir die Plakate noch unangenehm – vor allem, wenn mich meine Familie besuchte. Was sollten die von mir denken? Als Antwort legte ich mir zurecht: „Damit eine Frau im Hause ist.“ Das sollte Selbstironie suggerieren. Obwohl es natürlich überhaupt nichts erklärt. Für den Bravo-Starschnitt bin ich zu alt, für Pornografie viel zu aufgeklärt.
Ich habe die Antwort nie geben müssen. Aus irgendeinem Grund sehen Frauen über die Plakate höflich hinweg. Keine Fragen und kein Kommentar. Vermutlich, weil sie sie nicht einordnen können. Vielleicht auch, weil sie uns nicht bloßstellen wollen. Wynona Rider in der Küche ist akzeptierte Pornografie.
Und dabei geht es uns gar nicht um Sex. Im Gegenteil. Dafür sind die Modelle viel zu engelhaft. Wir wollen sie heiraten, und das meinen wir ernst. So wie ein Unbekannter es im Internet schreibt: „Von da an war er verliebt – verliebt in diese wunderschöne Prinzessin, die ihm aus dem Foto entgegenlächelt.“ Nicki Taylor soll die Mutter unserer Kinder sein. Claudia Schiffer sonntagabends mit uns Tatort gucken.
Und bis es so weit ist, hängen wir sie eben als Plakat in den Flur. Und fragen uns, wie H & M das noch toppen will. Wie soll eine noch Prominentere noch weniger anhaben können? Kommt als nächstes Britney Spears, die für einen Gürtel wirbt? Seufz, oh Mann, das gibt’s doch nicht. Zuzutrauen ist denen alles.
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