Lehrstunden in Lissabon

Marat Safin, der Shooting Star des Jahres, bekommt erst von Sampras, dann von Agassi das Fell über die Ohren gezogen, doch Gustavo Kuerten verhindert das Finale der Altmeister bei der Tennis-WM

von MATTI LIESKE

Es war ein Halbfinale so recht nach dem Geschmack der Verantwortlichen in der ATP. Um den Einzug ins Endspiel der Tennis-Weltmeisterschaft in Lissabon spielten am Samstag standesgemäß die vier Gewinner der Grand-Slam-Turniere des Jahres 2000 und damit zwei Vertreter der alten gegen zwei der neuen Generation – Angehörige jener Riege junger Spieler, welche der Tourveranstalter ATP in diesem Jahr mit seiner zwei Millionen Dollar teuren Kampagne „New Balls please“ bewarb. „Ihnen gehört ohne Zweifel die Zukunft“, hatte der 29-jährige Pete Sampras etwas indigniert gespottet, „aber man hätte vielleicht mit einem besseren Slogan herauskommen können.“

Auch das Resultat der beiden Matches war durchaus dazu angetan, für gute Laune bei der ATP zu sorgen, die ihr Masters-Turnier nach vier Jahren in Hannover nunmehr um die Welt rotieren lässt und einen gelungenen Auftakt in Lissabon bitter nötig hat. Andre Agassi, Gewinner der Australian Open, setzte sich gegen den US-Open-Sieger Marat Safin mit 6:3, 6:3 durch, doch sein Gegner im gestrigen Finale (nach Redaktionsschluss) war nicht etwa Pete Sampras, sondern Gustavo Kuerten, der lautstark angefeuerte Liebling des portugiesischen Publikums. In einem packenden Match hatte der Brasilianer gegen den 29-jährigen Titelverteidiger aus Kalifornien gewonnen, und bei einem Finalsieg kann er sogar das Jahr an der Spitze der Weltrangliste beenden.

Diese Position schien eigentlich längst für den Russen Marat Safin reserviert. Der 20-Jährige hätte nur noch einen Matchgewinn gebraucht, um als jüngster Spieler aller Zeiten am Saisonende die Nummer eins zu sein. Doch sein Jahr endete so unglücklich wie es begonnen hatte. Im letzten Gruppenspiel beim Masters unterlag er gegen Sampras, am Samstag knickte er im Halbfinale gegen Agassi gleich zweimal mit dem Fuß um und hatte keine Chance gegen den 30-Jährigen, der einen solchen Fisch nicht mehr von der Angel lässt. Gnadenlos jagte Agassi die Bälle in die Ecken des Platzes und meinte hinterher: „Ich hatte immer das Gefühl, dass Marat noch eine Bedrohung war.“

Diesen Respekt hat sich der Russe, dessen Manager Ion Tiriac ist, durch sieben Turniersiege erarbeitet, nachdem er mit fünf Erstrunden-Niederlagen, darunter bei den Australian Open, in das Jahr gestartet war. Safins Erfolgsserie begann, nachdem er sich mit Andrej Tschesnokow und Alexander Wolkow erfahrene Ex-Spieler als Berater geholt hatte. Höhepunkt war der US-Open-Erfolg gegen den Wimbledon-Champion Pete Sampras, für den sich dieser jetzt in Lissabon beim 6:3, 6:2 auf beeindruckende Weise revanchierte. „Man erinnert sich immer besser an seine Niederlagen als an seine Siege“, sagte Sampras, „ich wollte ihn unbedingt wieder vor den Schläger bekommen.“ Safin zerbrach in diesem Match vor lauter Frustration zwei Schläger und sagte anschließend: „Wenn du merkst, dass du überhaupt keine Chance hast, ihn einfach nicht passieren kannst, dann bekommst du das Gefühl, dass du etwas ziemlich Lächerliches tust.“ Und er fügte hinzu: „Ich habe gemerkt, dass ich noch viel lernen muss.“

Genug gelernt hat der vier Jahre ältere Gustavo Kuerten, der sich nach seiner Glanzleistung im Halbfinale bereits am Ziel seiner Wünsche sah: „Ich fühle mich, als hätte ich das Turnier schon gewonnen.“