SCHRÖDERS EU-FORDERUNGEN STRAPAZIEREN EUROPA
: Spiel ohne Siegeschancen

Deutschland hat seine Grenzen nach Osten verschoben? D’accord. Deutschlands Bevölkerung ist gewachsen? D’accord. Deutschland hat sein Bruttosozialprodukt vergrößert? D’accord. Aber all das war zu erwarten, seit vor zehn Jahren die westlichen und östlichen Alliierten in den „2+4-Verhandlungen“ die deutsche Osterweiterung ermöglicht haben. Selbst Frankreich, dessen Führung lange zögerte, bevor sie der Vereinigung zustimmte, begrüßt längst das neue deutsche Gewicht in Europa.

So weit, so klar. Wer jedoch glaubt, aus der neuen deutschen Stärke ließe sich eine deutschere EU ableiten, hat weder Frankreich noch die europäische Geschichte verstanden. Denn eine Stimmengewichtung, die Deutschland mehr formale Macht in der EU geben würde als Frankreich, ist jenseits des Rheins inakzeptabel. Sollte Deutschland darauf beharren, würde die EU platzen.

Hinter der kollektiven Grundhaltung der Franzosen stehen einerseits die Erfahrungen der letzten deutsch-französischen Kriege. Andererseits aber spielen auch die Gründungsbedingungen der EU eine entscheidende Rolle. Für Frankreich war Europa die Abfederung des Abstiegs von der Weltmacht. Für die BRD war Europa die einzige Möglichkeit, wieder an der Weltpolitik teilzuhaben.

Für ihre unterschiedlichen nationalen Interessen haben beide Länder in den seither vergangenen vier Jahrzehnten vor allem deswegen immer wieder einen gemeinsamen Nenner gefunden, weil der politische Wille dazu da war. Die Demographie spielte keine Rolle. Schon zum Gründungszeitpunkt der EU standen 57 Millionen Deutsche 45 Millionen Franzosen gegenüber. Daraus mehr Stimmrechte abzuleiten, wäre Adenauer nicht in den Sinn gekommen. Es hätte auch der deutschen föderalen Logik widersprochen, wonach ein Riesenland wie Nordrhein-Westfalen im Bundesrat ebenso viele Stimmen hat wie das bevölkerungsschwache Bayern.

Wir unterstellen dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht so viel Ignoranz in Bezug auf Frankreich, in Bezug auf Europa und in Bezug auf die eigene nationale Geschichte. Wir unterstellen ihm auch nicht, dass er die EU in Nizza ad absurdum führen will. Wir vermuten weiterhin, dass er in 25 Jahren, wenn das künftige EU-Mitglied Türkei entschieden mehr Einwohner als Deutschland haben wird, der Türkei nicht etwa mehr Stimmrecht als den großen EU-Gründerstaaten geben will. Deswegen stellen wir hier die Frage: Worum pokert Schröder? DOROTHEA HAHN