Neuer Hausarrest für Pinochet

Auch in seiner Heimat Chile kann der frühere Diktator Augusto Pinochet nicht mehr mit einem ruhigen Lebensabend rechnen, sondern ist plötzlich mit einer Anklage und Hausarrest konfrontiert. Die ihm ergebenen Generäle reagieren mit Krisensitzung

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Der chilenische Exdiktator Augusto Pinochet genoss gerade die ersten Sommertage auf seinem Landsitz nahe der Pazifikküste, da überraschte ihn am Freitag die Nachricht, dass ein Richter Anklage gegen ihn erhebt und ihn unter Hausarrest stellen will. Zum zweiten Mal, seit Pinochet 1990 von der Macht ließ, wird er in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dabei bewahrt nur sein Alter den 85-Jährigen vor der Untersuchungshaft.

Sonderstaatsanwalt Juan Guzmán wirft Pinochet vor, den Befehl für die berüchtigte Todeskarawane erteilt zu haben. Diese zog kurz nach seinem Putsch 1973 durch Chile und folterte und ermordete gefangene Oppositionelle. 55 wurden ermordet, 19 weitere wurden entführt und sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. Offiziell gelten sie als „Verschwundene“.

Noch muss ein Justizvollzugsbeamter Pinochet offiziell die Nachricht seines Hausarrests überbringen. Seine Verteidiger haben jedoch bereits Berufung gegen die Klageerhebung angekündigt. Noch steht Pinochet nicht vor Gericht, und sie wollen alles tun, um das zu verhindern.

Bevor gegen Pinochet ein Prozess eröffnet werden kann, muss er sich von einem Psychologen untersuchen lassen, ob er geistig in der Lage ist, einem Verfahren gegen sich folgen zu können. Dieses Recht steht laut chilenischer Strafprozessordnung jedem Angeklagten zu, der über 70 Jahre alt ist. Pinochet willigte in eine solche Untersuchung ein. Seine Anwälte versuchen aber durch formale Tricks die Untersuchung hinauszuzögern. Offenbar wollen sie so lange warten, bis der 85-Jährige zu gebrechlich ist, um sein Haus zu verlassen. Der Sonderstaatsanwalt kam den Anwälten sogar entgegen. Denn Guzmán willigte ein, dass auch Pinochets genereller Gesundheitszustand Eingang in das Gutachten findet.

Die Verteidiger reagierten gereizt über die Anklageerhebung. „Diese Entscheidung scheint mir sehr bedauernswert, sie wirkt wie ein Harakiri des Herrn Guzmán“, sagte Fernando Barros, Berater der Pinochet-Anwälte. Unverständlich für sie ist, dass Guzmán Anklage erhebt, bevor überhaupt geklärt ist, ob Pinochet prozessfähig ist. „Eine Sache sind die mentalen Untersuchungen, die bei jeder Person vorgenommen werden, die über 70 Jahre alt ist, eine andere Sache ist die Anklageerhebung, die eine der Notwendigkeiten für die Prozesseröffnung ist“, sagte Guzmán zum Vorwurf, er würde sich über geltende Gesetze hinwegsetzen.

Erst im März war Pinochet aus seinem Hausarrest in London zurückgekehrt. Dort war er im Oktober 1998 auf Anordnung eines spanischen Richters verhaftet worden. Nach 16 Monaten lehnte die britische Justiz Pinochets Auslieferung an Spanien aus Gesundheitsgründen ab.

Bei seiner Rückkehr wurde der Exdiktator von der Militärführung seines Landes wie ein Staatsmann empfangen. Kein Wunder also, dass die Generäle sich noch in der Nacht zum Samstag trafen. Der Oberkommandierende der Streitkräfte, Jorge Arancibia, zeigte sich besorgt über Pinochets Schicksal. „Es ist meine persönliche Meinung, dass diese Entscheidung unsere Gesellschaft in einem sehr kritischen Moment bedrückt, und dies ist sehr beunruhigend“, sagte Arancibia.

Heereschef Ricardo Izurieta beriet sich am Samstag überraschend mit Vizepräsident José Muguel Insulza und Verteidigungsminister Mario Fernandez. Eine von Izurieta geforderte Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrates lehnte der Vizepräsident jedoch ab.

Die Regierung des Sozialisten Ricardo Lagos versucht sich wie bei vorangegangenen Entscheidungen möglichst neutral zu verhalten. „Zu der Entscheidung Guzmáns kann ich nur sagen, dass ich sie respektiere“, sagte Lagos, der gerade auf Staatsbesuch in Mexiko ist.

Die jetzige Klageerhebung ermöglicht eine Lücke im Amnestiegesetz. Das hatte Pinochet verabschieden lassen, bevor er nach 17 Jahren Diktatur (1973–1990) mit über 3.000 Toten von der Macht ließ. Es sichert den Militärs für ihre Verbrechen während der Diktatur Straffreiheit zu. Guzmán erklärte jedoch mit Zustimmung des Obersten Gerichts die Entführungen durch die Todeskarawane zu andauernden Verbrechen. Damit fallen sie nicht unter die Amnestie.

Die Anklageerhebung wird Pinochet höchstwahrscheinlich heute formal zugestellt. Dann wird er wohl auf seinem Landsitz unter Hausarrest gestellt. Nur wenige Stunden später dürfte über den Berufungsantrag seiner Anwälte entschieden werden.