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Die israelische Dokumentation „Liebe Perla“ mit Diskussion im 3001  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Nicht auf gedenktägliche Feierstunden und mediale Gemeinplätze wollen sich die VeranstalterInnen beschränken, die heute Abend im 3001-Kino Rozen Shahars 63-minütige Dokumentation über die Verfolgung Kleinwüchsiger im Nationalsozialismus zur Diskussion stellen. Denn bei allen vollmundigen Erklärungen, der „Kampf gegen den Hass“ sei „Chefsache“, herrsche nach wie vor ein sich verschärfendes Klima von Rassismus und Diskriminierung. Die Rede vom „Hass“ suggeriert dabei ein globales Problem, rückt die Taten mordender Nazihorden in die Nähe eines Menschlichen-Allzumenschlichen, anstatt sie in der Kontinuität zu begreifen; für diese freilich ist nicht nur das Fortdauern nationalsozialistischen Gedankenguts, wie das gerne genannt wird, verantwortlich, sondern auch Strukturen, Institutionen und Personen hierzulande.

Shahar ist es mit Liebe Perla in außergewöhnlicher Weise gelungen, mehr als Erinnerung zu sein, und die Recherche nach Vergessenem und Verdrängtem zu einem Begreifen auch dessen zu machen, was absichtsvoll verschwiegen oder geleugnet wird. Liebe Perla ist nicht zuletzt die Anrede der Hamburger Kleinwüchsigen Hannelore Witkofski an die in Haifa lebende Freundin und Auschwitzüberlebende Perla Ovici, deren Geschichte sie und ihr Team recherchiert haben. Shahar hat an Witkofski, die unter anderem im Auschwitzkomitee in der BRD aktiv ist, die Rolle der Regie abgetreten. Sie ist es, die die Reihenfolge der Orte und die Dramaturgie der Dokumentation mit ihrer zähen Suche bestimmt hat.

Der Film beginnt mit einem Auftrag. Perla, die mit ihren neun Geschwistern, sieben davon kleinwüchsig wie sie, in Auschwitz von Josef Mengele für seine Experimente von der Rampe geholt wurde, erinnert sich bei einem Besuch von Witkofski und ihrem Team in Haifa an einen Film. In Mengeles Auftrag hatte ein Kameramann über mehrere Stunden die Familie Ovici bewegungslos und nackt vor einer Schautafel gefilmt, während der Doktor mit einem Zollstock seine Forschungen erläuterte, all das für eine Tagung im Spätsommer 1944. Diesen Film müsse die Freundin in Deutschland finden, so Perla, damit das Dokument der Entwürdigung niemals an die Öffentlichkeit gelange.

Die Suche führt die Gruppe von Hamburg aus nach Frankfurt, Berlin und Oswiecim in die dortigen Archive; die Briefe zwischen Deutschland und Israel geben neben der Freundschaft auch den jeweiligen Stand der Recherche wieder. Doch Liebe Perla rückt dabei nicht die Ergebnisse ins Zentrum, sondern die Suche selbst: die Schwierigkeiten, Dokumente zu finden, die das Erzählte bezeugen könnten, bisweilen die Abwehr der Archivare; und lässt sich einmal ein Dokument finden, so wird es nicht gezeigt, ohne seine fragwürdige Perspektive zu problematisieren, die ausnahmslos die der Täter ist.

Ein Besuch im Max Planck-Ins-titut wird zum Anlass, nicht nur über die Renaissance von Überlegungen zur Tötung „lebensunwerten“ Lebens, Pränataldiagnostik und „Sterbehilfe“ nachzudenken, sondern auch über die personelle Kontinuität in der Institution, durch die der Fortbestand solcher Überlegungen gewährleistet wurde: Otmar Freiherr von Verschuer beispielsweise, der Leiter des Instituts, vormals Kaiser Wilhelm-Institut, war Mengeles Doktorvater, später Gründungsdirektor des Humangenetischen Instituts Münster. Ein Nachruf des Max Planck-Instituts bescheinigt ihm, der durch seine Zwillingsforschung bekannt wurde und 1969 starb, außergewöhnlichen Einsatz für eine „human motivierte Eugenik“.

Es mag überraschen, wieviele Zeitdokumente ein Film wie Kindertransport präsentieren kann. Die produzierende Warner Bros. muss sich das viel Geld und unzählige Mitarbeiter haben kosten lassen. Solcher Machbarkeitswahn, für den beispielhaft Steven Spielbergs Shoah Foundation stehen kann, suggeriert aber auch, es bedürfe bloß einer hieb- und stichfesten, lückenlosen Beweislage, um den Auschwitzleugnern begegnen und das Thema endgültig historisieren zu können. Ein Film wie Liebe Perla macht dagegen deutlich, dass es weniger die Dokumente aus der Vergangenheit als vielmehr die Anstrengungen in der Gegenwart sind, auf die es dabei ankommt.

heute, 20 Uhr, 3001, anschließend Diskussion; begleitet vn Gebärdensprachendolmetschern