90.000 Eier nach New York

■ Adventszeit ist Hörspielzeit: Radio Bremen bringt die Geschichte von der „legendären Bremen“ rechtzeitig zum Fest der Liebe als Hörbuch heraus

Glotze aus. Heute wird ein Hörspiel gehört. Jawohlja: ein Hörspiel. Von der glorreichen „Bremen“, dem Riesendampfer, der zehn Jahre zwischen Bremen und New York hin- und herschipperte – ach was, „schipperte“ – heizte, durch die Fronten des 2. Weltkriegs durchwischte und schließlich jämmerlich unterging.

Die „Bremen“. Die „legendäre Bremen“ gar. So heißt das Hörspiel, das 1952 (in Worten: zweiundfuffzich) auf Radio Bremen erstmals ausgestrahlt wurde. Jetzt, fast ein halbes Jahrhundert später, gibt es das 47-Minuten-Stück als Hörbuch zu kaufen. Tenor im Jahr 1952, keine zehn Jahre nach einem verlorenen Krieg und einem Völkermord: Wir sind wieder wer. Wir waren immer wer. Wir in Bremen.

985 Zentner Fleisch, 280 Zentner Fisch, 350 Zentner Geflügel, 80 Zentner Brot, 440 Zentner Mehl, 43 Zentner Kaffee, 90.000 Eier, 15.000 Flaschen Wein aller Art, 300 Hektoliter Bier, 18.000 Zigarren, 120.000 Zigaretten, 5.000 Zitronen – Proviant für 2.000 Passagiere, 1.000 Mann und Frau Besatzung und fünf Tage auf dem Meer. Oha. So viel Menschen auf einem Schiff. 1929 war die Jungfernfahrt der 286 Meter langen und 31 Meter breiten „Bremen“. „Noch nie haben die Meere der Welt ein solches Schiff getragen“, sagt die Sprecherin. Es muss gar gigantisch gewesen sein, was da in den Werften der AG Weser Ende der 20er Jahre entstand: vier Schiffsschrauben, 356 Elektromotoren, eine Million Meter Draht waren im „stählernen Gerippe eines Riesenfisches“ verbaut. 320 Zimmer allein in der ersten von drei Klassen, zehn Stockwerke, von Kunstprofessoren mit Bildern, Gobelins, Plastiken, Mosaiken, Malereien ausgestattet – „ein schwimmendes, grandioses, die Meere durchschneidendes Hotel, geboren im Geiste moderner Ingenieurskunst und unerhörter Schönheit, überwältigend in der technischen Form der Welt von 1930.“

Bei ihrer Jungfernfahrt errang die „Bremen“ direkt das „Blaue Band“, die Auszeichnung für die schnellste Tour Europa – Amerika. Vier Tage, 17 Stunden und 42 Minuten braucht der Dampfer von der letzten diesseiten Festlandstation Cherbourg bis nach New York, dazwischen Eisberge, Nebel und andere Unbillen. „Ganz New York, ja fast ganz Nordamerika ist von der ,Bremen' und ihrer Rekordleistung begeistert.“ Jubel, Getute, Geklatsche aus dem Off.

Und dann ist's 1939. „Ein dunkles Sturmtief zog am Horizont des Weltgeschehens herauf. Es warf seine Schatten auch auf den Schnelldampfer Bremen.“ Die Engländer wollen die „Bremen“. Jagen sie. Aber die „Bremen“ – harmloses Passagierschiff bitte sehr, „hervorragendes Zeichen für deutsche Wertmannsarbeit“ – schlägt dem Feind ein Schnippchen. Die Matrosen verpassen dem Riesen mit Farbresten einen Tarnanstrich. Der Ozeanriese taucht ab in den Meeren dieser Welt, bleibt tagelang verschwunden, will gesichtet sein in Asien, Südamerika, Spanien, schließlich Italien. In Wirklichkeit erreicht die „Bremen“ Murmansk. Monate später kehrt sie zurück nach Bremerhaven. Dort geht sie schließlich unter. Nicht durch eine Bombe oder sonstiges Kriegsgerät. Ein Schiffsjunge setzt – wie passend – das Rauchzimmer in Brand, wegen einer Ohrfeige aus Offiziershand. Ätsch. Der Junge, „dessen Vater ein Trinker ist“, wird zum Tod verurteit, „denn er hat mit einem Streichholzstrich 62 Millionen Mark vernichtet.“

1952 war – zumindest in Sachen Hörfunk – ja noch eine ruhige Zeit. Keine Bässe, die in Sätze wummern, keine Sprecher, die noch schnell halb verschluckte Worte loswerden müssen, kein herzinfarktfreundliches Tempo, das HörerInnen atemlos macht. Oh nein: schön eins nach dem anderen. Nicht mehr als drei Geräusche auf einmal, ganze Sätze, keiner unterbricht. Der Krieg wird sorgsam umschifft, aber schließlch war ja nicht alles schlecht damals, gell? Autobahnen undsoweiter. Aber das ist explizit nicht Thema 1952 und nicht Thema eines Stücks Technikgeschichte zum Stolzsein. Das mag man total doof finden, muss man aber wirklich nicht, und mit der „legendären Bremen“ ist ein ruhiger Abend gebongt – New York im Geiste inklusive.

sgi