Von Toastern und anderen Androiden

Immer schön mit dem Breitbandkabel erden: Grandaddy aus Kalifornien spielen großformatigen Rock im Knaack

Ich sag nur: Bärte. Es ist an der Zeit. Eigentlich müssten Bärte demnächst wieder teuflisch modern werden. Der Pullunder hat es auch geschafft, und der war schließlich noch ekelhafter.

Grandaddy auf jeden Fall, die haben Bärte. Nicht so ZZ-Top-Bärte, sondern echte Bärte, ungestylte Bärte. Bärte, die kein Mode-Statement, sondern halt da sind. Die so sind, wie sie sind, weil sie so wachsen. Mal dick, mal dünn, mal länger, mal gerade eben erst rasiert.

Bärte und Skateboards

Solche Bärte wachsen in Modesto, Kalifornien, irgendwo östlich von San Francisco, also fast schon im Niemandsland. Sie wachsen ungehemmt wie die kruden Ideen, die Jason Lytle in seinen Songs verarbeitet. Als seine größte Inspiration gibt der Sänger und Hauptsongschreiber von Grandaddy so grundsätzlich verschiedene Charaktere an wie die Skateboard-Legende Neil Blender und Jeff Lynne, der Chef des unsäglichen Electric Light Orchestras.

In Interviews erzählt Lytle gern davon, wie interessant Computer seien, und im nächsten Moment, dass er selbst keinen besitzt, aber bei Freunden gerne immer wieder dem Geräusch des Bootens lauscht. Mal fantasiert er in einem Song vom Ende aller Elektrizität, wenn sich die Natur alle Technik wieder zurückholt und man endlich auf dem Toaster sitzen kann, ohne Gefahr zu laufen, sich den Hintern zu verbrennen. Im nächsten Moment singt er einen ungemein ehrlichen und ganz und gar unironischen Trauergesang auf den verstorbenen Humanoiden Jeb, der zusammengeschraubt in der Küche schnell zum Freund der Familie geworden war.

Fortgesetzt wird diese Ambivalenz im Sound, der sich zwar durchaus modernster Aufnahmetechniken bedient, aber meistenteils rural und erdig, fast schon bräunlich angeranzt daher kommt. Andererseits vereint sich hier eine Schwäche zum Bombast mit einem sehr exakten Gefühl, wann es peinlich wird. Dann gehen sie erst recht rüber über diesen schmalen Grat. Früher wurden diese Abstürze noch mit dem überraschenden Einsatz von Spielzeug-Keyboards verhindert. Heutzutage gehen Grandaddy weiter: Sie stürzen einfach ab, klettern wieder hoch und behaupten leicht verwirrt, es hätte gar nicht weh getan.

„Rock ’n’ Roll is such a silly thing“, sagt Lytle, und dieses Wissen um die eigene Lächerlichkeit ist es wohl, dass ihn und seine Kollegen befähigt, trotzdem Rock ’n’ Roll zu machen. So kann man jetzt eine Weite und Freiheit beschwören, wie sie eigentlich schon lange verboten ist, ohne gleich das Schmalz-Repertoire der Americana bemühen zu müssen.

Weite und Freiheit

Noch immer sind ihre Songs nur hingetupft, fast unsicher ob der eigenen Mittel, in gewisser Weise schon Low-Fi-Recording, aber halt mit Symphonie-Orchester-Ansatz. Wie Pavement in Breitband. Das mag alles keinen Sinn geben, aber man kann es hören, und es hört sich gar nicht so sinnlos an. Eher freundlich und liebevoll, mitunter sogar schmerzhaft schön.

THOMAS WINKLER

Heute, 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 221