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: HELMUT HÖGE über Landhaus-Fluchten

In Seelower Höhlen

Ute und Frank waren früher ein Punk- bzw. New-Wave-Pärchen. Seit sie in ihrem ausgebauten Bauernhaus bei Seelow wohnen, spricht man – bis hin zum SFB – nur noch vom „Designer-Paar“. Damit sind sie sozusagen dort angekommen.

Paradoxerweise verliert sich Ute seitdem immer mehr, was sich ihr als Auslaufen des Sinns darstellt – ihres Sinns. So als hätte dieser nur eine gewisse Dauer, und danach würde alles chronisch. Ute ist 36, Frank ein paar Jahre älter. Als sie sich kennen lernten, begriffen sie ihre Liebe als eine Art Konzeptkunst. Später konzipierten sie von selbstreferentiellen Ausstellungen bis zu Business-Events – alles. Dabei gerieten sie auf die „Erinnerungsschiene“ – bald veranstalteten sie historische Bustouren bis nach Kaliningrad und Peenemünde. Einmal kaufte ich ihnen billig ein Laptop ab, später merkte ich, dass die Tastatur-Reihe von F 1 bis F 12 für formlose Anschreiben an alle Konzentrationslager-Verwaltungen, um Besichtigungsgruppen anzukündigen, reserviert worden war.

Das dicke Geld verdienten sie aber im „Kulturtransfer“. Ich habe nie so richtig verstanden, was das ist und warum dabei so viel hängen bleibt. Frank erklärte mir dazu einmal – rätselhaft: „Was meinst du, wie viel allein Firmen wie RWE oder Eon für Symposien über Europa – und meinetwegen die neue Identität, raustun! Nicht zu vergessen die ganzen Tabak- und Getreidehändler-Stiftungen.“ Auf dem Land legte er sich als Erstes einen 48-PS-Traktor mit jüdischem Vornamen zu: „David Brown“.

Ute kämpfte dagegen bald um mehr Selbständigkeit: „Um da draußen nicht zu versauern“, wie sie sagte. Denn es gab eigentlich immer was zu tun – einzurichten, um-, aus-, anzubauen etc. Irgendwann ertappte sie sich dabei, dass sie die ganze Landidylle derart herrichtete, als wollte sie damit ins Fernsehen kommen. Für das sie tatsächlich zu der Zeit gerade mehrmals arbeitete. Die Komplimente ihrer Freunde über die Rosenveranda oder das Sonntagsessen stachelten sie zu immer neuen Ideen an. Schon war von einer Biokläranlage inklusive eines Koi-Teichs die Rede. Tatsächlich hatte ihre Mutter mal eine Weile für Schöner Wohnen laufend junge Erfolgs-Paare in ihren kreativ eingerichteten neuen Dachgeschosswohnungen aufgenommen: „inszeniert“. Ute war also gewissermaßen vorprogrammiert.

In der Folgezeit bemühte sie sich, dem entgegenzuwirken – und u. a. von zu Hause aus neue „Projekte“ anzuleiern bzw. zu erledigen. So übernahm sie für einige stadtgeschichtliche Ausstellungen das Lektorat und Layout der Kataloge. Außerdem ordnete sie ihre riesige Dia-Sammlung „osteuropäische Gefühls-Landschaften“ neu. Beim Einkaufen stellte sie Beobachtungen über die vorwiegend rechtsradikale Landjugend an. In Strausberg wurde sie in einer Buchhandlung Dauerkundin. Sie las alles, was sie über den „Holocaust“ kriegen konnte. Während sie die vielen Neuerscheinungen studierte, beriet die Buchhändlerin neben ihr nicht selten glatzköpfige Jugendliche, die Bücher über „Germanen“ suchten: „Da gibt es leider nicht so viel!“

Irgendwann war Ute sich sicher, dass „Auschwitz“ drauf und dran war, „zum Kern einen neuen Hochkultur zu werden“. Gleichzeitig erschütterte sie aber die Tatsache noch mehr, dass ihr „persönlich“ eigentlich nichts blieb „als beruflich noch effektiver voranzukommen“. Frank riet ihr zu einem – gemeinsamen – Kind. Sie denkt eher ans Wegziehen, mindestens an massive Einkommensverluste – um wieder „Boden unter den Füßen“ zu bekommen.