Magisches Dreieck

Vor dem EU-Gipfel in Nizza beharrt die Bundesregierung auf ihrer Forderung nach mehr Stimmen für Deutschland

BERLIN taz ■ In der Frage der Korrespondentin schwingt ein leichter französischer Akzent mit und eine gehörige Portion Entrüstung: „Was meinen Sie mit ‚Malus‘?“ Soeben hat ein Berater des Bundeskanzlers erklärt, Frankreich könne bei den Verhandlungen um das Stimmengewicht der EU-Mitgliedsstaaten im Rat nicht auf seinem Status als Nuklearmacht pochen. Dieser sei „allenfalls ein Malus“, das Gegenteil eines „Bonus“ also, ein Makel. Die kleine Provokation beim gestrigen Briefing der Bundesregierung zum am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel war kein Versehen. Sie führt vielmehr ins Herz des Streits zwischen Deutschland und Frankreich, wie die Stimmen im EU-Ministerrat neu verteilt werden sollen.

Vor Beginn des Gipfels der Staats- und Regierungschefs machen die Beamten in den europäischen Hauptstädten noch einmal die eigenen Positionen deutlich. Weil dies jeder im landestypischen Stil tut, haben „britische Regierungskreise“ am Wochenende in ihren Zeitungen gegen die alten Rivalen aus Frankreich gestichelt. Die französische EU-Präsidentschaft hätte bei den Gipfelvorbereitungen arg geschludert und allzu oft eigene nationale Interessen vor den Kompromiss in der Sache gestellt. So weit wollten die „deutschen Regierungskreise“ gestern nicht gehen, schließlich gehört es hier zum landesüblichen Brauch, jeden Verdacht auf deutsch-französische Missstimmungen zu zerstreuen.

Um so mehr fällt auf, wie hartnäckig die Bundesregierung an ihrer Forderung nach einem größeren deutschen Gewicht im Rat der Mitgliedsstaaten festhält. „Einzige rationale Bezugsgröße kann die Bevölkerungszahl sein“, heißt es, und da liegt das wiedervereinigte Deutschland um 24 Millionen vor dem nächstgrößten Staat: Frankreich. Gleichzeitig räumt die Bundesregierung ein, dass diese Zahl keine mathematische, sondern eine politische sei. Im Klartext: Deutschland möchte vor allem einen symbolischen Vorsprung gegenüber den anderen drei großen EU-Staaten, denen es bisher gleichgestellt ist.

Kanzler Schröder, so wird versichert, glaubt fest an einen Erfolg der Konferenz. Anders als beim Gipfel von Amsterdam 1997 dürfe es in Nizza in den Kernfragen keine Überbleibsel mehr geben. Die Lösung wird letztlich aus einem „magischen Dreieck“ aufsteigen, sagen seine Berater in Harry-Potter-Deutsch. Die Stimmengewichtung soll also mit den zwei anderen großen Reformthemen, der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen sowie der künftigen Größe der EU-Kommission, verrechnet werden. Vor deutscher Kraftmeierei brauche sich dabei in Nizza niemand zu fürchten. „Wir werden im Zweifel immer gemeinschaftsfreundlich sein.“

PATRIK SCHWARZ