„Ersatzhandlung“ Polizeigesetznovelle

■ Grüne diskutierten Gesetzentwurf / Eingriff in Bürgerrechte befürchtet / Bleibt die Frage: Woher kommt der große Zuspruch?

Innenpolitiker müssen keine seherischen Fähigkeiten haben. Dennoch gab sich der grüne Innenpolitiker Matthias Güldner bei der Grünen-Veranstaltung „Keine Verschärfung des Bremer Polizeirechts. Mit Sicherheit weniger Bürgerrechte!“ am Montagabend als Prophet. Die große Koalition werde im kommenden Sommer das Bremer Polizeirecht unannehmbar verschärfen, so der Oppositionspolitiker. Mit dem Thema Innere Sicherheit versuche „die CDU verzweifelt, sich sowas wie ein politisches Profil zu schaffen“. Es sei vor dem Hintergrund der konservativen Politik von SPD-Bürgermeister Scherf und Bildungssenator Lemke wie wenige geeignet, sich von der SPD abzugrenzen. Er erwarte einen „großen Deal“ im Sinne eines Kuhhandels in der Koalition, obwohl es SPD-intern viel Kritik gebe.

Soviel zum Auftakt der ersten öffentlichen Grünen-Veranstaltung zum geplanten Polizeigesetz, die – eine Woche vor einer anderen, sicher kontroverseren Diskussion mit Vertretern aller Parteien – Schlusslichtcharakter hatte, zumal CDU und SPD das Thema seit dem Frühjahr öffentlich debattieren. Mit bekannten Folgen: Die Positionen zu verdachtsunabhängigen Kontrollen und präventiven Lauschangriffen sind verhärtet; bei der Videoüberwachung hat die SPD inzwischen Kompromissbereitschaft signalisiert. Den polizeilichen Todesschuss fordert öffentlich nur noch der Innensenator, während die SPD insistiert: „Davon steht nichts in den Koalitionsvereinbarungen“. Sogar CDU-Parteivize Michael Teiser äußert, der Rettungsschuss sei für ihn „nicht der wesentliche Punkt“, käme nur der Rest ins Gesetz.

Doch der Bremer Grüne Güldner ließ es sich nicht nehmen, den Todesschuss als „Zugriff auf rechtes Wählerpotenzial“ zu bewerten – und zugleich als letzte Steigerungsform einer politischen Logik, die „wegmachen, Probleme aus der Welt schaffen“ wolle. Den Bahnhofsvorplatz zu einem Zentrum der Videoüberwachung zu machen, diene weniger der Verbrechensbekämpfung. Das habe Symbolcharakter, angesichts von zehntausend Passanten, denen täglich Polizeiaktivität vorgeführt würden, die Kriminalität aber höchstens verdränge. Auch Podiumsteilnehmer Rolf Goessner, Publizist, schloss sich der Kritik an. Die Rechtsnovelle ersetze die verfassungsmäßige Unschuldsvermutung durch ein „generalisiertes Misstrauensvotum“.

Nur der hessische Ex-Justizminister Rupert von Plottnitz durchbrach diese Diskussionslinie: Die Grünen müssten sich fragen, wieso solche Rechtsverschärfungen seit 20 Jahren in weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert würden. Sein Erklärungsansatz: „Noch nie war der Sozialstaat so schwach wie heute.“ Viele Menschen erlebten den Abbau von sozialen und gesellschaftlichen Standards als bedrohlich. So gesehen trage die Verschärfung von Polizeigesetzen den Charakter einer Ersatzhandlung. ede