Ein Ort im Werden

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin soll ab Herbst 2001 gebaut werden. Der Bundestag hat die ersten Millionen bereitgestellt. Der Vertrag mit Architekt Peter Eisenman ist unterschriftsreif. Konzepte für den ergänzenden „Ort der Information“ liegen vor

von PHILIPP GESSLER

Nach 12 Jahren Diskussion, nach einem nur unter größten Mühen gefundenen Ende im Bundestag, nach mehr als anstrengenden Debatten im Kuratorium ist endlich klar: Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas südlich des Brandenburger Tores in Berlin wird tatsächlich gebaut – das Geld ist da. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat die ersten 7 Millionen Mark für den Bau des Jahrhundert-Denkmals bewilligt. Im Herbst 2001 soll mit dem Bau begonnen werden. Und Peter Eisenman, der Architekt des Stelenfelds, wird in Kürze seinen Vertrag zum Bau des Mahnmals unterschreiben.

Vier Räume für „the ort“

„Eine Unterzeichnung steht unmittelbar bevor“, sagt die Geschäftsführerin der Mahnmals-Stiftung, Sibylle Quack. Etwas Erleichterung ist dabei herauszuhören. Der US-Architekt werde sich dazu verpflichten, den ambitionierten Bau samt des lange umstrittenen „Ortes der Information“ für etwa 54 Millionen Mark zu bauen. Sollten die Kosten unvorhersehbar steigen, werde das Architektenhonorar nicht, wie sonst üblich, proportional mit der Bausumme steigen.

Konkrete Formen nimmt auch der unterirdische „Ort der Information“ an, der in der Mahnmals-Szene, nach einer anglo-deutschen Formulierung von Eisenman, halb liebevoll, halb spöttisch „the ort“ genannt wird. Wie diese Info-Stätte auszusehen hat und wo sie zu finden sein soll, waren zwei der Hauptstreitpunkte unter den Kuratoren. Vorschläge zur Innenausstattung, vom Kuratorium inzwischen akzeptiert, hat eine Arbeitsgruppe gemacht, die aus dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, dem Historiker Eberhard Jäckel und seinem Kollegen und Leiter der Gedenkstätte „Topographie des Terrors“, Reinhard Rürup, besteht.

Demnach wird „the ort“ aus vier Abteilungen jeweils in der Größe eines Klassenzimmers bestehen: den Räumen „der Stille“, der „Orte“, der „Namen“ und der „Schicksale“. Im „Raum der Stille“ soll die Zahl der ermorderten Juden in den einzelnen Ländern Europas dargestellt werden. Der „Raum der Orte“ soll die Stätten der Massenvernichtung zeigen – einschließlich der vielen KZ-Außen- und Nebenlager. Die Hunderte von Lagern in ganz Deutschland und in den im Weltkrieg besetzten Gebieten sollen die „Mär“ widerlegen, dass man von der Schoah nichts habe wissen können, so Nachama.

Drei Millionen Namen

Im „Raum der Namen“ sollen die Namen der Ermordeten nachzulesen sein. Die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem sammelt sie derzeit. Drei Millionen Namen der etwa sechs Millionen Opfer der Shoah sind mittlerweile registriert. Nach Auskunft von Sibylle Quack zeigt Jad Vaschem Interesse an einer Kooperation mit dem geplanten Mahnmal. Bisher kann man nur in Jad Vaschem die Listen einsehen.

Diskutiert wird, ob die Namen online abrufbar sein sollen. Zudem wird überlegt, Fragebögen auszulegen. Besucher könnten damit die Liste mit Namen ermordeter Angehöriger ergänzen. Ob die Namen in einem Laufband dargestellt werden, ob sie zu hören sein sollen oder ob die aus aller Welt erwarteten Besucher einige Namen selbst lesen könnten – all diese Fragen sind Sibylle Quack zufolge noch offen.

Zwölf Schicksale

Weiter sind die Planungen für den „Raum der Schicksale“. Exemplarisch sollen hier voraussichtlich etwa zwölf Lebensgeschichten von ermordeten jüdischen Individuen oder Familien aus ganz Europa erzählt werden, sagt Nachama. Vom griechischen Hafenarbeiter bis zur Berliner Gelehrtenfamilie.

Das Foyer des „Ortes“ könnte multifunktional genutzt werden. Auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten sind Veranstaltungen angedacht, etwa Darbietungen von im KZ entstandener Musik oder Literatur.

Die genaue Ausgestaltung der Räume soll bis Ende des Jahres eine weitere Gruppe aus Ausstellungsprofis, Vertretern des Architekten und Medienexperten erarbeiten. Diese Gruppe wird sich vor allem mit der Frage beschäftigen, wie gerade jungen Leuten mit Hilfe didaktischer Mittel die Geschichte der Schoah vermittelt werden kann.

Sicherheitskonzept fehlt

Von einer faszinierenden Idee hat man Abstand genommen: Die Mehrheit der Kuratoren hat sich Sibylle Quack zufolge vom ursprünglichen Konzept verabschiedet, die Stelen des Mahnmals wie Stalaktiten in den „Ort der Information“ hineinragen zu lassen. Es wurde befürchtet, dass „the ort“ durch diese Blöcke in der Decke noch gedrückter werden könnte. Die Stelen werden voraussichtlich in der Decke des „Ortes“ nur angedeutet.

Tageslicht soll in „the ort“ fast ausschließlich über die Treppen in den Informationskomplex fallen: Die Wände rechts und links der Treppe werden wahrscheinlich aus Glas sein. Ein Glasdach über den Gedenkräumen soll es nicht geben, so die Stiftungs-Geschäftsführerin: Es könnte den Charakter des Stelenfelds stören, meinen manche Kuratoren.

Nach wie vor fehle ein ausgearbeitetes Sicherheitskonzept für das Mahnmal, räumt Quack ein. Erste Gespräche mit dem Landeskriminalamt hat es gegeben. Schutzpersonal wird das Mahnmal voraussichtlich bewachen. Ein weitgehender Gebrauch von Videokameras zur Überwachung sei nicht möglich, erläutert die Stiftungs-Geschäftsführerin. Sonst drohe das Mahnmal an Ausdrucksstärke zu verlieren. Da den Plänen nach kein Zaun das Denkmal eingrenzen wird, sollen im Boden installierte Lampen im Abstand von etwa 10 bis 15 Stelen das Mahnmal nachts beleuchten. Dafür und für eine Anti-Graffitti-Beschichtung der aufrecht stehenden Stelen sei Geld eingeplant.

Klar ist schon jetzt, dass das Mahnmal auch nach seiner Fertigstellung einiges kosten wird. Zwar sieht der Bundestagsbeschluss zum Bau des Mahnmals nicht ausdrücklich vor, die Stiftung nach Abschluss der Arbeiten mit einem kleinen Personalstamm zu erhalten. Doch die Pflege des Mahnmals muss gesichert werden. Intensive Gespräche laufen zwischen dem Land, als vom Bund beauftragter Bauherr des Mahnmals, und der Stiftung: Ein Debakel wie bei der Gedenkstätte „Topographie des Terrors“, deren Bau seit Monaten wegen der ungeklärten Finanzierung stillliegt, will man unbedingt vermeiden.

Beton für Jahrhunderte

Weitere konkrete Schritte im Werden des Mahnmals soll das Kuratorium bei seiner Sitzung am 25. Januar vornehmen. Dann werden die Kuratoren erstmals auch etwas ganz Konkretes zu prüfen haben. Eisenman will Probeabgüsse des Betons mitbringen, aus dem das Stelenfeld bestehen wird. Material, das Jahrhunderte überdauern soll.