Arbeiten einer Grenzgängerin

■ Im Niemandsland: Zwei Abende mit kurzen Videoarbeiten von Betty Leirner begleiten eine Ausstellung ihrer Fotografien

„Wer eine Reise tut, hat auch was zu erzählen“, wissen jene zu berichten, die die heimische Enge nie verlassen haben und jede Geschichte dankbar wie Kolonialwaren auf dem Dorfplatz der erbeuteten Erfahrungen aufbahren. Und doch eröffnet jede Reise auch den Zugang zu einem ganz anderen Traum, von dem die andere Ethnographie handelt: dass das Selbst sich ändere, die Projektionen auf den Blickenden zurückfallen, die Grenzen von Eigenem und Fremden in Fluss geraten.

Diesen Traum träumt auch die in Hamburg lebende brasilianische Dichterin und Fotografin Betty Leirner: „Utopia takes splace“, stellt sie sprachspielend einer ihrer Videoarbeiten über Identität und deren post-koloniale Verortung voran, um „a land where difference and sameness do not not exist“ zu imaginieren. Im Völkerkundemuseum ist nun im Rahmen des Japan-Schwerpunkts die fotografische Rauminstallation „Betty Leirner: Prints, Nowhereland, Japan“ zu sehen – flankiert von einem äußerst sehenswerten Screening ihrer Videoarbeiten im Metropolis.

Betty Leirner ist eine Grenzgängerin. Ihre Arbeit zwischen dem Fotografischen und dem Filmischen stellt sie in eine Reihe mit Chris Marker, genauso ihr Japonismus bei gleichzeitiger Weigerung exotistische Panoramen zu entwerfen. Ihr Japan ist wie das Roland Barthes' ein semiotisch imaginäres, gelegentlich ein ganz privates, wenn nicht schillerndes. Das Verstörende liegt im Detail: etwa in jenen Bildern, die einen englischen Trinkspruch in Frakturschrift zeigen und aus einer japanischen Synagoge stammen.

Müsste man eine Klammer für ihre Arbeiten entwerfen, dann könnte er im kosmopolitischen Schlagwort des Theoretikers der Hybridität, Homi K. Bhabha, von den „Third Spaces“ zwischen den Kulturen gefunden werden. Im fünfminütigenBoogie Man zeigt Leirner so zu Musik aus Joni Mitchells Mingus-Album eine buddhistische Prozession, japanische Schulkinder in Uniformen und ihre Eltern – bis ein Schriftzug erklärt: „filmed on buddha's birthday in sao paulo, brasil 1996“. Political Mistakes überschreibt Wüstenbilder aus Israel mit dem Wort „Zero“ und dessen Entsprechungen im Arabischen, Hebräischen, Jiddischen und Japanischen. Neben dem dialektischen Einsatz von Typographie und kontrapunktisch verwendeter Musik ist es vor allem das Moment der Sprache, das Leirner die Verschiebung kultureller Zuordnungen erlaubt. Fast alle ihrer zwei- bis zwanzigminütigen Videoarbeiten arbeiten auf der Grundlage einer dialogischen Mehrsprachigkeit, der geradezu strategische Bedeutung zukommt: Etwas entzieht sich immer dem Verständnis und nur in dieser Verfehlung entsteht die Möglichkeit zur Artikulation eines Neuen.

Tobias Nagl

 Nowhereland: Japan: Do, 19 Uhr; D.J. d'images: 13.12., 21.15 Uhr, Metropolis; Ausstellung im Museum für Völkerkunde noch bis zum 31.12.