Worte wie getrocknete Blätter wegfegen

■ Schauspieler lesen aus Werken des Literaturnobelpreisträgers Gao Xingjian

Bloß keine Klischees! Man kann ja schon hören, wie sie einrasten, wenn man Ostasien mit Buddhismus verbindet. Aber bei Gao Xingjian, dem diesjährig überrraschend geehrten Literaturnobelpreisträger, aus dessen Werken die SchauspielerInnen Ingeborg Kallweit und Wolfgang Kaven jetzt in der Zentralbibliothek lesen, braucht man sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen. Denn er webt zwar buddhistische Elemente in seine Texte und Tuschegemälde, lebt aber bereits seit 1987 in Frankreich und schreibt inzwischen auch auf Französisch.

Er habe den Preis nicht verdient, raunt es schon in China; dass der erste mit dem Literaturnobelpreis geehrte Chinese ein im Exil Lebender ist, passt weder hier noch dort ins Bild. Dass er – obwohl seine Werke seit 1986 in China nicht mehr aufgeführt werden dürfen – kein explizit regimekritischer Autor ist, irritiert den Westler. Und dass er in dem Drama Auf der Flucht – aufgeführt übrigens 1988 am Hamburger Thalia Theater – im Zusammenhang mit den Ereignissen auf dem Platz des Himmlischen Friedens auch der Demokratiebewegung Fehler anlastete, hat ihn endgültig zwischen alle Stühle geschleudert.

Europäische und asiatische Traditionen verbindet Gao in seinen Stücken, als Vorbilder nennt er Brecht und Beckett: Absurd angelegt ist das Drama Ja oder/und Nein (1992), stellt einen Mann, eine Frau und einen buddhistischen Mönch in den Raum und lässt das Paar eine Konversation starten: Zum Sexualobjekt degradiert fühlt sich die Frau, in seinen Eroberungsritualen durchschaut der Mann, und doch versuchen sie immer wieder (vergebens) zu kommunizieren. Aber sie selbst machen echte Annäherung unmöglich: die Frau, indem sie immer dann abbricht, wenn sie aufgefordert wird zu reden; der Mann, indem er die Welt nach seinem Willen benennen und gestalten will, nicht bemerkend, dass sie sich ständig entzieht. „Namen sind Verhüllung“, sagt er, „sie verstellen den Blick auf die Person.“

Doch anstatt jetzt in Schweigen zu verfallen, mühen sich die Beteiligten auch im Jenseits weiter ab – und ihre Mühen sind genauso vergebens wie des Mönchs Versuche, auf einer Hand zu stehen. „Du bist nur dir selbst verpflichtet“, sagt der Mann – und vielleicht ist es das, worauf das Stück hinausläuft: die Tatsache, dass niemand einer Ideologie verpflichtet ist und dass es letztlich egal ist, wer die identitätsverweigernden Worte spricht: Sie könnten genausogut die Rollen tauschen, den Zweiakter als Wechselgesang präsentieren, aus dem mal die Frau, mal der Mann heraustritt.

Die Botschaft des Stückes, egal ob durch Dreifach-Identität chinesischer Akteure oder durch Einfühlung westlicher Schauspieler übermittelt? Vielleicht, dass das Eigentliche unaussprechbar ist und dass das alltägliche Permanentgeschwätz dem Wesen des Menschen keinen Millimeter näher kommt. Es könnte aber auch sein, dass da gar nichts blinkt in den scheinbar verhüllten Tiefen der Seele. Und dass dann nur der Mönch übrig bleibt, der die zu Blättern vertrockneten Worte der Verstummten wegfegt.

Petra Schellen

Lesung Sonnabend während der Öffnungszeit (10 bis 13 Uhr) vor Regalen der Zentralbibliothek, Große Bleichen 25