Filmstarts à la carte
: Bügeln mit Louise

Die 20er Jahre präsentierten im Kino ein völlig neues Frauenbild: Hatten zuvor noch hold gelockte Jungfrauen mit Kleinmädchenblick die Leinwand dominiert, so wurde das Publikum plötzlich mit frechen „Flappern“ und ihren flotten Bubikopffrisuren konfrontiert. Damit reagierte auch das Kino auf Veränderungen in der Gesellschaft: Denn längst saßen die Frauen nicht mehr nur zu Hause am Herd; sie hatten die Arbeitswelt erobert und das Wahlrecht erlangt, und sie forderten ihr Recht auf Vegnügungen ein. Der uns vertrauteste weibliche Star dieser Ära ist zweifellos Louise Brooks - doch die amerikanische Schauspielerin war keineswegs immer so populär wie heute: In Hollywood galt die eigenwillige Brooks als Rebell - nahezu vergessene Konkurrentinnen wie Colleen Moore, die den Pagenkopf im Kino popularisierte, und das „It-Girl“ Clara Bow errangen seinerzeit erheblich größere Erfolge. Und in Deutschland, wo Brooks mit G.W. Pabst „Die Büchse der Pandora“ und „Tagebuch einer Verlorenen“ drehte, wurde sie ob ihres heute so modern und natürlich wirkenden „Unterspielens“ für vollkommen untalentiert gehalten. In einer Reihe von Filmen, an deren Restaurierung die Cineteca del Comune di Bologna federführend beteiligt war, zeigt das Arsenal neben den beiden Pabst-Werken jetzt noch einen weiteren, selten gespielten, Film mit Louise Brooks: In Augusto Geninas „Prix de beauté“ (1930) verkörpert sie eine Sekretärin, die an einem Schönheitswettbewerb teilnimmt und zur Miss Europa gewählt wird. Der Film kreist um die Diskrepanz zwischen traditionellen Geschlechterrollen und dem neuen Frauenbild: Während die Wahl zur Schönheitskönigin Brooks eine neue Welt voller Partys mit Filmproduzenten und Maharadschas, schicken Kleidern und Champagnertrinken eröffnet, sieht ihr biederer, eifersüchtiger Gatte sie lieber als Hausfrau. Doch mit Bügeln zwischen Kuckucksuhr und Vogelkäfig mag sie sich nun nicht mehr abfinden: Sie verläßt sie ihren Mann, und macht Karriere beim Film. Der stumm gedrehte, später mit Geräuschen nachvertonte Film wird im Arsenal von Marco Dalpane (Klavier) und Ugo Mantiglia (Violine) musikalisch begleitet.

„Prix de beauté“ 8.12., „Die Büchse der Pandora“ 12.12. im Arsenal 1

Wie „Prix de beauté“ entstand auch Alfred Hitchcocks „Erpressung“ an der Schwelle von Stumm- zum Tonfilm und zeigt, wie der Meister die neuen Möglichkeiten dramaturgisch nutzte: Alice (Anny Ondra), die einen Mann mit einem großen Messer erstochen hat, sitzt mit ihren Eltern beim Frühstück, als eine aufdringliche Kundin ihres Vaters lautstark über den Mord tratscht. Doch in Alices Bewußtsein wird das Gerede zu einem unverständlichen Gemurmel, aus dem sich das ständig wiederholte Wort „Messer“ umso schärfer und deutlicher heraushebt.

„Blackmail“ 13.12. Arsenal 2

Witwen, die unentwegt das Werk ihres verblichenen Gatten beweihräuchern, sind manchmal durchaus mit Vorsicht zu genießen. Doch obwohl Agnès Vardas „L‘univers de Jacques Demy“ (1995) - nach ihrem Spielfilm „Jacquot de Nantes“ und der Dokumentation „Die Demoiselles sind 25 Jahre alt geworden“ bereits der dritte Film, der sich mit Leben und Wirken des französischen Regisseurs befasst - auch nicht ganz von peinlicher Lobhudelei freizusprechen ist, zeigt sich die Dokumentation, in der Schauspieler und technische Mitarbeiter von der Arbeit mit dem sanften, aber unnachgiebigen Demy erzählen, doch weitgehend entspannt und charmant. Dabei kommen nicht nur Demys Liebe zur Heimatstadt Nantes oder das immer wiederkehrende Thema der Frau mit der verpassten Liebe zur Sprache, sondern auch die Inspiration der Filmstoffe durch seine Kindheit und die nicht immer auf den ersten Blick sichtbare Verankerung seiner Märchen und Musikfilme in der sozialen Realität. Zudem erfährt man auch Überraschendes: Wer hätte etwa gedacht, dass ausgerechnet Robert Bresson, der Regisseur strenger, spröder Filme, einer von Demys persönlichen Helden war?

„L‘univers de Jacques Demy“ 10.12. im Babylon im Tschechischen Zentrum

Lars Penning