Das Röcheln des Bankdirektors

In „Wolfsheim“ (22.15 Uhr, Südwest) ist Weihnachten. Und der Traum von der ewigen Freundschaft plötzlich zu Ende

Wolfsheim ist deutsche Provinz pur. Christoph ist bei der Bundeswehr und raucht eigentlich immer. Oder trinkt Bier in großen Schlucken. Im Tarnanzug kniet er in Nachbars Vorgarten und entfernt Hundehaufen. Sollte er doch noch die Lehre als Bankkaufmann bekommen, dann hat Christoph das allein Papas Beziehungen zu verdanken.

Kein Lametta-Konzept

Mit Nicole Weegmanns weihnachtlicher Tragikomödie hat das „Debüt im Dritten“ wieder einmal bewiesen, dass es kein „Kleines Fernsehspiel“ mit Unterhaltungslametta ist: In der SWR-Reihe sind so gegensätzliche Werke wie der „Totmacher“, „Nach fünf im Uhrwald“und „Silberdisteln“ entstanden. Seit 16 Jahren trägt das Konzept starker, realitätsnaher Geschichten, von jungen Regisseuren mit bescheidenem Budget verfilmt.

Um dabei auch noch witzig zu sein, muss „Wolfsheim“ nicht schönfärben. Wenn sich pünktlich zum Fest die Schulfreunde Justine, Ennio und Christoph in ihrem Heimatdorf wiedertreffen, zwecks gemeinsamer Bekämpfung des Weihnachtsblues, ist das lakonisch-komisch genug. „Als wäre man keine fünf Minuten weg gewesen, alles ist wieder da“ – das Dorf, die Enge, die kaputte Familie. Nur Patrick, der Vierte im Bunde, sitzt leider im Gefängnis wegen einiger Einbrüche. Für die „Natural born friends“ keine Frage, dass man ihn da rausholen muss. Um den Staatsanwalt von Patricks Unschuld zu überzeugen, inszenieren die drei kurzerhand weitere Überfälle.

Das Drehbuch von Nicole Weegmann und Jürgen Matthäi kennt seine Figuren und die Abgründe des Landlebens: Wo am Ortseingang in „Fargo“ das Holzhackermännlein grüßt, hängt in „Wolfsheim“ – ein jaulender Wolf. In eher beiläufigen Situationen entsteht auch hier die verräterische Gemütlichkeit des Dorflebens wie von selbst. Bei so viel Feingefühl für die Schwarzwälder Generation X hätte es der vor 70er-Jahre Kitsch überlaufenden Kulissen gar nicht bedurft, und etwas weniger Nirvana-„Nevermind“ im Soundtrack wäre mehr gewesen. Denn was an „Wolfsheim“ fasziniert, ist der emotionale Realismus: Mit liebevoller Genauigkeit zeigt der Film Desillusionierungen.

Das Verbrecherspiel aus Feiertagsüberdruss endet schließlich mit dem Tod. Ausgerechnet Christoph („Wenn ich weniger rauche, werde ich noch dicker“) begeht den Mord. Ausgerechnet er, der nie etwas anderes wollte als in seinem Dorf leben, erwürgt den schmierigen Filialleiter der Volksbank.

Mieser Ganove

Als Patrick schließlich aus dem Knast entlassen wird, zerplatzt auch noch die große Illusion von der ewigen Freundschaft. Denn Patrick ist schlicht ein mieser Ganove, er hat die Überfälle tatsächlich verübt und ist in Drogengeschäfte verwickelt.

Nicole Weegman wurde für „Wolfsheim“ beim Baden-Badener Fernsehfilmfestival mit dem „Shootingstar“ ausgezeichnet. Und im nächsten Jahr soll das „Debüt im Dritten“ unter neuem Namen ins Erste vorrücken: „Wolfsheim“ entdeckt die Wirklichkeit. EIKE WENZEL