kanzler in warschau
: Auf der Suche nach verlorenen Bildern

Nicht einmal das Kanzleramt bestreitet, dass Gerhard Schröder bei seinem gestrigen Polen-Besuch auf die Symbole schielte. Der Kanzler flog just zum Jahrestag von Willy Brandts berühmtem Kniefall nach Warschau. Mehr noch als der am selben 7. Dezember 1970 unterzeichnete Warschauer Vertrag, der die polnische Westgrenze anerkannte, hat Brandts besondere Geste das Bild der Entspannungspolitik geprägt. Dass der Vertrag den Eisblock des Kalten Kriegs erschütterte, ist fast vergessen – der Kniefall in seiner Schutzlosigkeit wirkt bis heute anrührend. Als Schröder nach Warschau reiste, reiste er diesem Eindruck hinterher. Insofern war die Unternehmung typisch für jene Sinnsuche, die den Kanzler nach der Hälfte seiner Amtszeit umtreibt: Er befindet sich auf der Suche nach den verlorenen Bildern.

Kommentarvon PATRIK SCHWARZ

Je mehr er sich als Pragmatiker bewährt, desto mehr leidet er: Während seine Vorgänger von Brandt bis Kohl sich mehr oder weniger gut in den Mantel der Geschichte hüllen konnten, steht Schröder vorerst nackt da. Seine frühen Versuche, eine geeignete Ikonografie seiner Kanzlerschaft zu schaffen, endeten in der Blamage. Die Aufnahmen im Brioni-Anzug wirkten zwar erhaben – allein die Botschaft war die falsche. Seitdem ist nichts nachgekommen, die Urlaubsfotos der Illustrierten Max gehören noch zum Markantesten, was Schröder bisher hinterließ.

So macht der Kanzler vorerst Anleihen in der Vergangenheit – und vielleicht muss er auf die würdevolle Abbildung eigener Größe vergebens warten. Gerade der Warschau-Besuch hat gezeigt, es ist nicht die Zeit der großen Gesten. Besonders auffällig war das bei dem Thema, das Willy Brandts Besuch so schwierig machte: dem Umgang mit der NS-Vergangenheit. Während noch lange nach dem brandtschen Kniefall Politiker wie Weizsäcker und Kohl nach den richtigen Worten suchten, hatte das Thema diesmal nichts Brisantes mehr. Schröder sprach unumwunden von den deutschen Verbrechen, ohne die dämonischen Kräfte Hitlers oder der Geschichte zwischen die Deutschen und ihre Schuld zu schieben. So richtig das ist, so selbstverständlich ist diese Position inzwischen. Doch nicht nur die Umstände sind nicht nach Heldenposen. Brandts Kniefall bezog seine Wirkung aus der Konfrontation der zwei Supermächte. Weil der Sozialdemokrat das Lagerdenken hinter sich ließ, zeigte er Mut. Die große Geste erfordert auch die große Tat. Und die steht bei Gerhard Schröder bekanntlich noch aus.