haushaltsdebatte
: I`m So Tired

In Berlin ist was los. Die High Society tummelt sich wieder in der traditionsreichen Stadt, Diplomatenkonvois schieben sich über die Leipziger Straße. Die Bambis werden heute und künftig an der Spree verliehen. Und die Bundesregierung hat Fühlung mit der Stadt aufgenommen. Hier fallen die Entscheidungen. Aber etwas hat in dieser Stadt an Glanz und Kraft verloren: die Politik der Stadt.

Kommentarvon BARBARA JUNGE

Gestern noch einmal konnten sich die alten Krieger im Berliner Abgeordnetenhaus aufeinander verlassen. Pflichtgemäß sprang der Altgrüne Wolfgang Wieland dem Altkonservativen Eberhard Diepgen zur Seite, als dieser über die rot-grüne Steuerreform der Bundesregierung räsonierte. „Judaslohn!“, warf Wieland ein, als Diepgen auf einen Zwischenruf für eine sich mehr und mehr in die Länge ziehende Kunstpause hoffte. Und der Regierende reagierte dankbar: „Auf diesen Einwurf habe ich gewartet.“

Doch schon Klaus Landowsky – das Epizentrum einer jeden Haushaltsdebatte in den vergangenen Jahren – wirkte verloren in der emotionsarmen Plenardebatte. Mangels intellektuellen Schlagabtauschs zwischen den politischen Lagern trat er die Flucht nach vorne an und unterzog gleich den gesamten Senat einer Generalkritik. Fazit des Höhepunkts der parlamentarischen Jahres: inhaltliche Debatten – Fehlanzeige; politische Differenzen – kaum erkennbar; Stimmung – lustlos.

Nach Jahren der großen Koalition sind CDU und SPD in einer pragmatischen Beziehung ohne Leidenschaft gelandet. Man verhandelt den Ehevertrag Jahr für Jahr neu. Und weil die Opposition angesichts der finanziellen Rahmenbedingungen keine Alternativen sieht, geriert sie sich als Eheberatungsinstitut. Mitten im sich wandelnden Berliner Geschehen verharrt die Landespolitik, wird pragmatische Verwaltungstätigkeit mit politischer Führung verwechselt. Die große Koalition glaubt offenbar nicht mehr an die eigene Gestaltungskraft.

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