Can You Hear The Earth Is Turning?

Wärme- und Stromgewinnung aus der Erde werden in Deutschland noch vernachlässigt. Dabei hat die Geothermie den Vorteil, dass sie zu jeder Jahreszeit verfügbar ist. Die ersten geothermischen Anlagen sind jedenfalls mehr als viel versprechend
von MANFRED BURAZEROVIC

Werner Bußmann, Geschäftsführer der Geothermischen Vereinigung (GTV) in Geeste, versteht auch nicht so recht, warum Erdwärme im Vergleich zu den anderen erneuerbaren Energien so wenig bekannt ist. „Das kann man wohl nur psychologisch erklären: Die Sonne am blauen Himmel als etwas Positives und unten in der dunklen Erde, in der Hölle, das heiße Gestein.“ Dabei könnte die Geothermie in Kombination mit anderen Energieträgern wie Wind, Sonne und Biomasse längst sinnvoll eingesetzt werden. Ihr entscheidender Vorteil besteht darin, unabhängig vom Klima und den Jahreszeiten immer verfügbar zu sein.

Mit den inzwischen vorhandenen Technologien kann diese Energiequelle auch in Deutschland genutzt werden. Oberflächennahe Geothermie bis zu einer Tiefe von 400 Metern reicht unter Einsatz von Wärmepumpen aus, um Einzelhäuser oder Siedlungen zu beheizen. Erprobte Systeme sind Erdkollektoren, Erdwärmesonden, Grundwasserbohrungen oder auch „erdberührte Betonbauteile“, so genannte Energiepfähle in Neubauten. Bei diesem, in den 70er-Jahren in Deutschland entwickelten Verfahren werden notwendige statische Bauteile mit Wärmetauschrohren ausgerüstet, die, verbunden mit einer Wärmepumpe, zum wirtschaftlichen Heizen und Kühlen des Gebäudes beitragen. Erdwärmesonden sind in Nord- und Mitteleuropa die häufigsten Anlagentypen. Dabei handelt es sich um senkrechte oder schräge, bis 250 Meter tiefe Bohrungen, in die meist spezielle Kunststoffrohre eingesetzt werden. Mit einer Wärmeträgerflüssigkeit wird dem Boden Wärme entzogen, die mit einer Wärmepumpe auf das zum Heizen notwendige Temperaturniveau gebracht wird. „Wer sein Eigenheim mit solch einer Anlage ausrüsten will, muss mit Kosten von rund 10.000 Mark für die Erdsonde und 12.000 Mark für die Wärmepumpe rechnen. Bei einer realistischen Förderung durch die öffentliche Hand von 3.000 Mark würde sich die Anlage in 10 Jahren amortisieren“, erklärt Johannes Ruhland, Geschäftsführer der terrawat GmbH in Lengdorf und einer der Pioniere der Geothermie in Deutschland.

Warm- oder Heißwasserreservoirs ermöglichen es, auch größere Wohnanlagen über ein Fernwärmenetz zu versorgen. In Deutschland werden zu diesem Zweck 800 bis 2.500 Meter tiefe Bohrungen ausgeführt. Das Wasser wird hoch gepumpt, die Wärme entzogen und durch eine zweite Bohrung wieder zurückgeleitet, damit das hydraulische Gleichgewicht in der Erde erhalten bleibt. Ein größeres Projekt entsteht zurzeit grenzüberschreitend in Simbach-Braunau am Inn. Im Endausbau sollen auf österreichischer und bayrischer Seite von der Anlage pro Stunde 53.000 MW Wärme erzeugt werden, wovon die Geothermie über die Hälfte abdeckt – gewünschter Nebeneffekt: sehr geringe CO2-und SO2-Emissionswerte. Die Gesamtinvestitionen belaufen sich auf 32 Millionen Mark.

Ein weiteres Anwendungsprinzip der Geothermie sind Wärme- und Kältespeicher in so genannten Aquiferen, den Wasser führenden Schichten in der Erde. Am bekanntesten dürften die Aquiferspeicher der Parlamentsbauten – Reichstagsgebäude und umliegende Büroblöcke – in Berlin sein. Die Grundlast der Energieversorgung für das Strom-, Wärme- und Kältesystem im Parlamentsviertel sichert ein biodieselbetriebenes Motorheizkraftwerk (MHKW). Die anfallende Wärme wird direkt dem Heiznetz zugeführt und dient zum Antrieb von Kältemaschinen und Wärmepumpen. Nicht genutzte Abwärme des MHKW wird in einem 300 Meter tiefen Sole führenden Aquiferwärmespeicher saisonal gespeichert; ein weiterer unterirdischer Speicher in 50 Meter Tiefe dient primär der Gebäudekühlung.

Im letzten Sommer funktionierte das System tadellos, so dass Frank Kabus und Gerd Möllmann von der verantwortlichen GNT Geothermie Neubrandenburg GmbH zuversichtlich sind, mit der Anlage zukünftig 90 Prozent des Jahreswärmebedarfs und mit Hilfe des Kältespeichers 60 Prozent des sommerlichen Kältebedarfs der Parlamentsbauten abdecken zu können.

Auch für das Energiekonzept der Nordseeinsel Pellworm ist der geplante Untergrundwärmespeicher entscheidend, um das anvisierte Ziel zu erreichen: den Energiebedarf der Insel ausschließlich mit regenerativen Energien zu sichern. Mit dem Wärmespeicher könnten die Insulaner überschüssig erzeugte Wärme aus einem Biomassekraftwerk und aus solarthermischen Anlagen doch noch zur ganzjährigen Wärmeversorgung nutzen. Bei einer Speicherdauer von drei Monaten werden nach den Berechnungen am geplanten Standort 70 Prozent der eingespeicherten Wärmemenge zurückgewonnen. Als Abnehmer der Wärme sind ein Neubaugebiet und einiger älterer Wohnhäuser sowie ein Kurzentrum mit Schwimmbad vorgesehen.

Mit dem „Hot Dry Rock“-Verfahren (HDR) ist es nun aber auch möglich, in unseren Breiten Erdwärme in Tiefenbereichen zwischen 3.000 und 7.000 Metern zur Stromerzeugung zu nutzen. Dabei wird kaltes Wasser durch eine Injektionsbohrung in die Erde gepumpt, wo es sich im Gestein erhitzt. Über Produktionsbohrungen wird dieses Wasser an die Oberfläche gefördert und über einen Wärmetauscher zu einer Turbine mit Generator geleitet. Das HDR geht auf Konzepte zurück, die in den 70er-Jahren in den USA entwickelt wurden. Entscheidende Ergebnisse brachte das seit 1987 laufende europäische HDR-Forschungsprojekt im elsässischen Soultz-sous-Forêts. Nach Ansicht der Forscher wurde nachgewiesen, dass der Betrieb eines HDR- Kraftwerks unter kalkulierbaren Bedingungen wirtschaftlich sein kann. Für Bad Urach in der Schwäbischen Alb – HDR-Projekt-Standort seit 1975 – gibt es bereits eine Machbarkeitsstudie für ein Kraftwerk. Die Berechnungen ergaben, dass der dabei erzeugte Strom für eine Stadt von 150.000 Einwohnern ausreicht und die Restwärme des Wassers noch ein angeschlossenes Fernwärmenetz versorgen könnte. Ein weiters HDR-Projekt startete vor wenigen Tagen im brandenburgischen Groß Schönebeck. Dort prüft das GeoForschungsZentrum Potsdam, ob eine ehemalige, 4.200 Meter tiefe Erdgaserkundungsbohrung zur Stromerzeugung genutzt werden kann.

Werner Bußmann sieht bereits einen kleinen Boom der Geothermie. „Die stärkere Unterstützung durch die öffentliche Förderung schuf eine gute Basis für den Durchbruch. 2000 wurden mehr größere geothermische Anlagen geplant als in den gesamten zehn Jahren davor.“ Dies sei aber eine noch junge Entwicklung. So erinnerte Helmut Tenzer, Vorsitzender der GTV, auf einer Fachtagung in Herne daran, dass in der vergangenen 10 Jahren Geothermieprojekte durchschnittlich lediglich 4,5 Millionen Mark Fördermittel pro Jahr erhielten, für die Nutzung von Windenergie jedoch 40 Millionen Mark und für Solarenergie 90 Millionen Mark jährlich bereitgestellt wurden. Das im Februar verabschiedete Erneuerbare-Energien-Gesetz der Bundesregierung sieht nun eine Verdopplung des Anteils der erneuerbaren Energien an der Energieversorgung von jetzt 2 auf 4 Prozent bis 2010 vor. Strom aus Geothermie wird mit 14 bis 17,5 Pfennig pro Kilowattstunde vergütet. Eine leicht paradoxe Situation, da zurzeit noch kein Geothermiestromkraftwerk in Deutschland betrieben wird. Das liegt nach Ansicht der Befürworter der Geothermie an der fehlenden Bereitschaft von Investoren, Geld in Pilotanlagen zu stecken. 30 Millionen Mark hält Helmut Tenzer für ausreichend, um erste Projekte zu realisieren. Mögliche Investoren werden nicht nur von den hohen Gesamtkosten, sondern auch durch das hohe Erfolgsrisiko der Bohrungen abgeschreckt. Auf der technischen Habenseite der Geothermie steht auf jeden Fall, dass sie – weil immer verfügbar – auch zur Sicherung der Grundlast bei der Stromversorgung eingesetzt werden kann.

Infos im Internet:www.geothermie.de

Artikelhinweis:Im Jahr 2000 wurden mehr Anlagen geplant als in den zehn Jahren davor