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Die Stars kommen aus Amerika, das Geld vom Staat: Das „Transmusicales“-Festival in Rennes ist ein Vorzeigeprojekt französischer Jugendkulturpolitik

von DANIEL BAX

„Make some noise for French HipHop“, ruft Guru in die Halle. Damit macht der US-Rapper deutlich mehr Punkte beim „Transmusicales“-Festival in Rennes als seine Kollegen von den Jungle Brothers ein Jahr zuvor – die hatten das Publikum in der alten Bretagne-Hauptstadt noch mit „Hello Paris!“ begrüßt.

Bei Guru dagegen klingt das Kompliment für den französischen HipHop sogar glaubhaft. Vor Jahren schon lud er den französischen Rapper MC Solaar als Gast zu seinem Jazzmatazz-Projekt und beflügelte damit dessen internationale Karriere. An der neuesten Jazzmatazz-Auflage sind diesmal die beiden französischen R-’n’-B-Chanteusen Les Nubians beteiligt, die sich später am Abend auch noch zum Gastgeber Guru auf die Bühne gesellen. Doch zuvor fährt der Rap-Impresario noch einige andere Freunde auf: den Jazzpianisten Herbie Hancock etwa, der den ganzen Gig über am Keyboard zwar fast arbeitslos bleibt, aber immerhin mit seinem guten Namen glänzen darf, oder Stars des neuen US-Souls wie die Sängerin Angie Stone und der junge Bilal, dem auch etwas zu Frankreich einfällt: „Kommt French Kissing wirklich aus Frankreich?“

Das Staraufgebot um Guru zählte zu den vorhersehbaren Höhepunkten der diesjährigen „Transmusicales“ in Rennes, zu deren Ruf es eigentlich gehört, dass dort vor allem Neuentdeckungen zu machen sind. Das Festival, eines der wichtigsten Frankreichs, wurde Ende der 70er aus der Taufe gehoben, auch um der progressiven bretonischen Rockszene jener Zeit ein Zuhause zu geben. Heute verbindet man mit dem Namen eher HipHop oder elektronische Musik. Innovative Rockbands wie „At the Drive-In“ oder „And you will know us by the trail of dead“ finden aber immer noch ein Plätzchen im Programm, neben avantgardistischen Weltmusik-Neutönern wie der Rockband Yat-Kha aus Tuva oder dem Inder Mungal mit seinem Sitar-Dubreggae aus Trinidad-Tobago.

Typisch französisch an den „Transmusicales“ ist sicher nicht der Anteil französischer Bands, die so schöne Namen wie „Olaf Le Magnifique“, „Barbatrax & Cosmogols“ oder „Le peuple de l’herbe“ tragen. Typisch französisch ist vor allem die Organisationsform des Events: Hoch subventioniert, ist es ein Musterbeispiel französischer Kulturpolitik. Denn in Frankreich wird Jugendkultur nicht gänzlich Unternehmern wie dem Viva-Magnaten Dieter Gorny oder RTL II (siehe vorige Seite) überlassen, sondern als gesellschaftliche und damit staatliche Aufgabe gesehen. Mit dickem öffentlichen Etat ausgestattet, können es sich Festivals wie die „Transmusicales“ deswegen nicht nur leisten, einen Guru samt extravaganter Equipe einfliegen zu lassen, sie können es sich auch erlauben, experimentierfreudig zu sein und Risiken einzugehen. Die französische Presse spielt dabei voll mit – allen voran die Libération, die täglich, manchmal über mehrere Seiten, von den „Transmusicales“ berichtet und Newcomer wie den Spoken-Word-Poeten Saul Williams empfiehlt.

Nicht alles findet sich so hübsch auf der Bühne umgesetzt wie dessen Performance mit Sound System und Streichern. Vor allem viele Elektroniker hadern mit einem adäquaten Auftrittskonzept. Manche DJs begnügen sich damit, sich tief über Plattenteller und Regler zu beugen, während über ihren Köpfen wirre Diaprojektionen dahinschwirren. Der letzte Abend der „Transmusicales“, als lange DJ-Nacht gedacht, gerät so zu einem Mischpultmarathon ohne Rave, bei dem die Zuhörer mit Blick auf eine Bühne, auf der rein gar nichts passiert, auf ihren Sitzen wegdämmern. Solche Pannen offenbaren dann die Mängel einer Planung, der scheinbar Originalität vor Publikumsinteresse geht. Der privilegierte Teil der Besucher, der zur Presse oder zur Musikbranche gehört, flüchtet dann einfach aus der Konzertarena ins gegenüberliegende VIP-Zelt und überlässt das zahlende Volk seiner Langeweile. Dass dann im riesigen Pressezelt bessere Stimmung herrscht als in der großen Halle, verstärkt wiederum den Eindruck eines Zwei-Klassen-Festivals, bei dem die Medien- und Musikbranche vor allem sich selbst feiert.

Die eigentliche Party steigt aber ohnehin nicht auf dem Festivalgelände, sondern in den Kneipen der Altstadt von Rennes, im Rahmen der „Bars en Trans“. Dort treten noch unbekannte Bands auf, und rund um die windschiefen Fachwerkbauten im historischen Zentrum herrscht für Stunden der reine Ausnahmezustand. Rennes verwandelt sich dann zum Schauplatz eines Walpurgisnacht-Szenarios, auf dessen Siedepunkt entfesselte Bretonen, umringt von einem Pulk Schaulustiger, mit Jonglierkegeln auf umgestürzten Plastikmülltonnen herumtrommeln wie bei einem neuheidnischen Ritual, und über allem liegt der Dunst von Bier und Gras. Gelegentlich setzt die Polizei dem Treiben auch mit Tränengas ein Ende. Doch am Morgen danach, wenn sich der Schlachtendunst verzogen hat und das Kopfsteinpflaster abgebürstet wird, erinnern nur noch der Chlorgeruch und die blassen Gesichter in den Straßencafés an die Ausschweifungen der vorhergehenden Nacht.

Sitzt man aber am Abend noch in seinem Hotel, kann man durch die Glastür am Eingang angetrunkene Festivaltouristen aus Paris dabei beobachten, wie sie mit überhöhter Geschwindigkeit über eine Verkehrsinsel brettern, dass die Radkappen nur so durch die Gegend fliegen und der Wagen hoffnungslos ruiniert ist, die Insassen aber glücklicherweise mit einem Schock davonkommen. Dabei erweist es sich für die „Transmusicales“ als Vorteil, das Rennes nicht am Meer liegt. Im nahe gelegenen Brest enden solche Spritztouren gewöhnlich gleich und endgültig im Hafenbecken.