„Pastorentöchter sind die nicht“

Trotzdem hält der Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm die Zusammenarbeit mit rechtsradikalen V-Leuten für „rechtsstaatlich und rational“

Interview CHRISTIAN RATH

taz: Herr Fromm, die NPD erhebt heftige Vorwürfe gegen die Verfassungsschutzbehörden. NPD-Chef Udo Voigt sagt, dass der Staat seit Jahren versuche, Gewalt in die Partei zu tragen.

Heinz Fromm: Diesen Vorwurf halte ich für unbegründet. Das ist eine reine Propagandaaktion, die die Verunsicherung der NPD-Führung widerspiegelt.

Nun gab es aber tatsächlich einige Fälle, bei denen V-Leute des Verfassungsschutzes auf die rechte Szene angesetzt waren und dabei einschlägige Straftaten begingen . . .

Diese Fälle betrafen jeweils V-Leute der Landesämter für Verfassungsschutz. Sie müssen verstehen, dass ich als Präsident des Bundesamtes hierzu nicht Stellung nehme.

Gut, dann frage ich also abstrakt: Ist es V-Leuten des Verfassungsschutzes erlaubt, Straftaten zu begehen?

Nein. Wenn ein V-Mann Straftaten begeht, beenden wir sofort die Zusammenarbeit mit ihm.

Gilt dies auch für Propagandadelikte wie das Zeigen des Hitler-Grußes oder die Verwendung von Hakenkreuzen?

So etwas können wir im Einzelfall dulden. Ohne eine gewisse Anpassung an die Szene kann ein V-Mann natürlich nicht arbeiten. Er würde ja sonst sofort auffallen.

Wo ist dann die Grenze?

An Straftaten, die in individuelle Rechtsgüter eingreifen, dürfen sich V-Leute auch zur Tarnung nicht beteiligen.

Ein V-Mann dürfte demnach Auschwitz leugnen oder zum Rassenhass aufstacheln?

Das kommt darauf an. Es bleibt aber dabei, dass er keine Individualrechtsgüter verletzen darf. Aufstachelung zum Rassenhass kann im Einzelfall zu einem Angriff führen. Das darf nicht sein. Der V-Mann darf solche Straftaten keineswegs initiieren oder gar steuern, er darf nicht als Multiplikator wirken. Im Übrigen muss man sich überlegen: Will man die Möglichkeiten der Information und Prävention, die V-Leute bieten, nutzen oder nicht?

Wenn eine rechte Clique einen Ausländer verfolgt oder zusammenschlägt, was soll dann der eingeschleuste V-Mann tun? Darf er – im Interesse der Informationsgewinnung – Schmiere stehen, oder muss er sich frühzeitig unter einem Vorwand verabschieden?

Das ist ein Grenzfall. Bei Spontantaten befindet sich der V-Mann naturgemäß in einer schwierigen Situation. Dennoch gilt auch hier: Eine Verletzung von Individualrechtsgütern ist unzulässig. Das heißt, er darf nicht mitprügeln, und er darf auch nicht Schmiere stehen, wenn das als Beihilfe oder gar als Mittäterschaft zu bewerten wäre. Wenn er sich an den Straftaten beteiligt, beenden wir die Zusammenarbeit sofort und melden es auch der Polizei.

Schon deshalb wird er seinem V-Mann-Führer solche Taten gar nicht erst erzählen.

Es kann aber trotzdem herauskommen, etwa weil es eine Anzeige gibt oder weil die Polizei den Sachverhalt von sich aus ermittelt. Dann schalten wir den V-Mann ab und schützen ihn auch nicht vor der Polizei.

Das würde also heißen, dass V-Leute umso weniger Informationen sammeln können, je gefährlicher die Vorgänge sind, die sie aufklären sollen. Ihre Behörde will aber vermehrt V-Leute gerade in die „gewaltbereite“ Szene einschleusen. Dann werden Sie wohl doch öfter mal ein Auge zudrücken müssen.

Nein. Zum einen können wir auch Leute im Randbereich der Szene platzieren, wo keine Straftaten verübt werden. Ansonsten sage ich ganz bewusst: Lieber verzichten wir auf die Information, als dass sich der Staat oder ein von ihm verpflichteter V-Mann an schweren Straftaten beteiligt.

Schön wär's.

Sie und bestimmte Teile der Öffentlichkeit stellen uns hier unter einen Generalverdacht, der mich doch etwas wundert. Wir arbeiten hier in einem sehr schwierigen Bereich, und ein gewisser Vertrauensvorschuss wäre für eine staatliche Behörde eher angebracht.

Die bisherige Geschichte des Verfassungsschutzes mit seinen vielen „Pannen“ macht eben etwas skeptisch . . .

Niemand kann garantieren, dass alles hundertprozentig sicher läuft. Es gibt hier ein Restrisiko, das auch ich nicht völlig ausschließen kann. Pannen gibt es in jeder Behörde – nur dem Verfassungsschutz werden sie ewig nachgetragen. Der letzte Vorgang im Bundesamt für Verfassungsschutz, den man so bewerten kann – der Fall Tiedge [der Leiter der Spionageabwehr flüchtete in die DDR; d. Red.] – liegt inzwischen eineinhalb Jahrzehnte zurück. Schon im eigenen Interesse sind wir daran interessiert, unnötige Risiken zu vermeiden.

Sie sagen also, dass die Zusammenarbeit mit rechten V-Leuten in rationalen rechtsstaatlichen Bahnen verläuft?

Allerdings.

Auch wenn es sich dabei um teilweise vorbestrafte Mitglieder der gewaltbereiten rechtsradikalen Szene handelt . . .?

Dass unsere V-Leute keine Pastorentöchter sind, wissen wir. Ob eine Vorstrafe der Verpflichtung im Wege steht, müssen wir im Einzelfall entscheiden.

Wie verhindern Sie, dass ein rechter V-Mann nur zum Schein mit Ihnen zusammenarbeitet und vor allem Desinformation betreibt?

Unehrlichkeit fällt früher oder später auf. Dann beenden wir die Zusammenarbeit.

Manche V-Leute haben sich sogar der Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz gebrüstet. Norbert Dienel etwa finanzierte mit Teilen seiner Honorare rechtsradikale Aufkleber . . .

Zum Fall Dienel werde ich nicht Stellung nehmen. Aber ich versichere Ihnen, dass die V-Leute von gut ausgebildetem Personal betreut werden, dem man nicht so leicht etwas vormachen kann.

Welche Ausbildung hat denn ein V-Mann-Führer?

Ein V-Mann-Führer war in der Regel drei Jahre auf unserer Verfassungsschutzschule, das ist eine Abteilung der Fachhochschule des Bundes. Bei uns arbeiten also Spezialisten, die außerdem regelmäßig fortgebildet werden und die mit den V-Leuten nicht nur Pizza essen gehen.

Und wer entscheidet, wann ein V-Mann abgeschaltet wird? Der V-Mann-Führer selbst?

Nein, natürlich nicht. Diese Entscheidung trifft ein Vorgesetzter, dem der V-Mann-Führer alle heiklen Vorgänge zu berichten hat. Auch wir wissen, dass sich zwischen V-Leuten und ihren Betreuern eine gewisse Eigendynamik entwickeln kann.

Selbst wenn ein eingeschleuster V-Mann keine Exzesse begeht, so stabilisiert er doch die Szene durch sein bloßes Mittun . . .

Das ist nicht seine Aufgabe, er soll Informationen liefern, mehr nicht.

Liefern umgekehrt auch Sie den V-Leuten Daten, zum Beispiel über die linksradikale Antifa-Szene, damit sie sich besser schützen können?

Im Einzelfall ist es unumgänglich, dem V-Mann personenbezogene Daten zu liefern. Zum Beispiel muss der V-Mann-Führer ihm sagen, mit wem er sich treffen soll. Die Fürsorgepflicht kann es im Einzelfall auch gebieten, Daten über einen politischen Gegner weiterzugeben, wenn damit einer akuten Gefährdung des V-Manns begegnet werden soll.

Auch auf die Gefahr hin, dass damit rechte Angriffe auf linke Aktivisten erleichtert werden?

Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Wenn so ein Risiko besteht, ist die Informationsweitergabe selbstverständlich ausgeschlossen.

Und wie sieht es mit Informationen über Polizeieinsätze und Razzien aus? Können Sie diese auch im Einzelfall an einen rechten V-Mann weiterleiten?

Es wäre unprofessionell und unzulässig, den V-Mann auf Polizeirazzien hinzuweisen. Wenn der Schutz des V-Mannes es gebietet, kann der V-Mann-Führer ihm einen Auftrag geben, der ihn vor Gefährdung schützt.

Nun haben Bund und Länder jeweils eigene V-Leute in der Szene platziert. Können Sie ausschließen, dass sich V-Leute gegenseitig beobachten und den Ämtern gefährliche Entwicklungen melden, die aber eigentlich nur von anderen Ämtern ausgehen?

Wir koordinieren das durchaus. Der Föderalismus ist wegen der wechselseitigen Kontrolle und des Zwangs zur Absprache sogar ein Gewinn an Rechtsstaatlichkeit.

Im Fall der bei den Ländern aus dem Ruder gelaufenen V-Leute Dienel, Szczepanski, Grube und Meier hat die gegenseitige Kontrolle dann aber nicht sehr gut funktioniert.

Die Absprachen und Diskussionen beziehen sich nicht auf die Anwerbung einzelner V-Leute, sondern eher auf Grundsätze unserer Tätigkeit. Im Übrigen sind hier Bund und Länder jeweils in eigener Verantwortung tätig.