Love Is Real, Real Is Love

John Lennon für gewisse Stunden ■ Der Mann hat mir mein erstes Liebesglück zerstört. Auf schamlose Weise. Durch Singen. Durch fortgesetztes, unablässiges, tiefgründiges Singen. Dieses ewige Herumgesinge dieses Lennon, John Winston. Schaltet ihn aus! Trinkt nie wieder Apfeltee bei Kerzenschein! Macht ihn fertig, wie auch er euch fertig macht mit seinem den Lennon-Liedern eigenen Zwang zum Nachdenken. Zum tiefgründigen Gespräch. Zur Illusion. Nichts passierte. Stundenlang lauschten wir John Lennon. Die sich auflösenden Kandiszuckerstückchen im Apfeltee knisterten. „Love is real, real is love / Love is feeling, feeling love / Love is wanting to be loved“ – rauf und runter. Und noch mal von vorn.

Ich war sechzehn, und sie hatte sich gerade ihr Haar aubergine gefärbt und war weniger am Küssen interessiert als viel mehr an abendfüllenden Gesprächen. Wobei kann man sich schon besser unterhalten als zu Musik von John Lennon? Falsch. Falsche Frage. Nicht: sich unterhalten – reden. Oder auch: schweigen. Andachtsvoll ließen wir die verzauberten Lennon-Klänge auf uns wirken. Draußen schien unablässig Schnee zu fallen. Wir blickten uns tief in die Augen. Und als es dann Zeit wurde, etwas anderes zu tun, als sich in die Augen zu blicken, sagte sie, Lennons Cover-Version von „Stand by me“ sei viel besser als das Original. Ich stimmte ihr natürlich zu.

Gegen 23 Uhr bat mich dann ihre Mutter, jetzt doch langsam mal zu gehen. Also ging ich.

Und hörte auf dem tristen Weg zum S-Bahnhof die Selbstmitleidverstärker „Help!“, und „I`m a loser“, wahlweise auch „I`m losing you“. Was sich im warmen Zimmer noch wie leise rieselnder Schnee angefühlt hatte, entpuppte sich als anhaltender, nasskalter Nieselregen.

John Lennon für gewisse Stunden? Dass ich nicht lache!

STEFAN KUZMANY

Für Stefan Kuzmany spielte es praktisch keine Rolle, wann welche Lennon-Platte erschien: als Lennon erschossen wurde, war er acht.