A Day In The Life

John Lennon lag mit Yoko für den Frieden im Bett, als Sue Masterman ins Hotelzimmer trat. Sie hat nie darüber geschrieben. Bis heute
von SUE MASTERMAN

Das letzte Mal habe ich John Lennon – und Yoko – in Amsterdam getroffen, sie waren gerade frisch verheiratet und hielten Hof – „Love and Peace“ im Hilton Hotel. Ich war zu der Zeit Auslandskorrespondentin in Holland. Meine Zeitung schickte mich los, ein Interview zu erobern.

März 1969. Europa in Aufruhr. Die Atmosphäre aufgeheizt. Ein Jahr der Gewalt lag hinter uns. Viele junge Leute hatten den Wunsch nach Frieden, aber auch nach Rückzug. Und dann kam John Lennon und legte sich ins Bett und sagte: Frieden. Es war eine große Sache.

Nach stundenlangem Warten wurde es mir gestattet, anzutreten für meine offiziell zugeteilte Viertelstunde. Da lagen sie beide in ihrem weißen Bett, in ihren weißen Roben, mit einer ziemlich seltsamen Gruppe um sich herum, die auf dem Fußboden saß, umgeben von Tabletts mit makrobiotischen Lebensmitteln, spielten sie eine Musik, die verschwommen indisch klang.

„Hello, Sue!“, sagte er und setzte sich auf. Mein erster Gedanke war: Sein PR-Mann hat ihn aber gut gebrieft. Sie standen draußen vor der Tür, wie Polizisten, bewachten unseren kleinen Moment der vertraulichen Zurückgezogenheit.

Aber alles war ganz anders: Er erinnerte sich wirklich an mich. Ja, erinnerte ich mich denn nicht? Dass wir einmal zusammen auf dem gleichen Gig gespielt hatten – wann war das gewesen, damals, lange her, in den 50ern? Ich erinnerte mich an Gigs – aber nicht an ihn!

Ich nehme mal an, ich war in der Szene damals der einzige weibliche Doppelbass im ganzen Umkreis von Manchester und Liverpool. Deshalb hatte er mich wiedererkannt.

Schließlich fanden wir heraus, dass wir tatsächlich im gleichen Gig aufgetreten sein mussten, damals, aber nicht zusammen, verschiedene Bands, irgendwo in der Nähe von Warrington, da, wo die Liverpooler- und die Manchester-Kreise zusammentrafen. Er war damals wohl immer noch ein Quarryman, oder das Ganze fand noch früher statt. Lonnie-Donogan-Ära.

Wir fingen an, über diese Zeiten zu reden. Yoko war fasziniert. Das war ein Teil seines Lebens, bei dem sie das Gefühl hatte, ihn einfach verpasst zu haben. Aber dann war meine zugeteilte Interviewzeit zu Ende, und die PR-Männer kamen zurück.

Er schmiss sie einfach raus. Und er sagte der makrobiotischen Band, sie sollten jetzt gehen. Dann ließen wir uns nieder für eine Session, die ungefähr drei Stunden dauerte, drei Stunden, in denen wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, alles abdeckten.

Wenn ich jetzt zurückdenke: Das, was mich wirklich beeindruckt hat, war, dass er tatsächlich immer noch der Typ aus Liverpool war – smart, sehr wach, mit einer großen Klarheit, woher er gekommen war und wohin er gehen wollte.

Er erzählte mir, dass er genug habe vom ganzen Ruhm, dass er sich sein Vermögen verdient habe, Glück gemacht, ja, und dass er sich jetzt zurückziehen wollte aus dem öffentlichen Blick, um den Luxus eines Familienlebens zu genießen, den er als Kind nie wirklich gehabt habe. Und dazu gab es Orangensaft und Mineralwasser für uns.

Da ich ja nun eine Amsterdamer Reporterin war, hätte ich es mit Sicherheit gemerkt, wenn irgendwas Illegales geraucht worden wäre. Ich habe weder etwas gesehen noch gemerkt von irgendwelchen Drogen, welche auch immer.

Ich forderte ihn ein bisschen heraus – zum Thema Werbung, die er nutze, um seine – und ihre – Philosophie zu verbreiten. Ein Zitat ist mir sehr in Erinnerung geblieben: „If I want to post a message, what do I care if the letter-box is dirty!“ („Wenn ich eine Nachricht verschicken will – warum soll`s mich dann interessieren, ob der Briefkasten dreckig ist?“)

Obwohl ich ihn damals nicht wirklich kannte, kam er rüber als ein total authentischer Typ aus Liverpool, der sich den Großteil seiner Integrität bewahrt hatte in all diesen Jahren des Ruhms – Akzent, Wortschatz und alles andere. Ich hatte auch nicht im Geringsten den Eindruck, dass Yoko ihn dominierte. Sie waren einfach, sagte er, komplementär füreinander, Yin und Yang. Sie hörte geduldig zu, ab und zu stellte sie eine Frage.

Für mich war es umso belastender in den späteren Jahren, immer wieder diese Geschichten über ihn zu lesen – jenseits der Fakten –, dass er drogenabhängig sei, dominiert von Yoko, in ihre Facon gedrückt.

Er hat gemacht, was er angekündigt hatte: Er zog sich zurück. Ich glaube nicht, dass die Öffentlichkeit oder die US-Medien ihm das jemals vergeben haben.

Die beiden, Yoko und er, waren einfach glücklich zusammen, als sie endlich zusammengefunden hatten nach einer sehr langen Zeit der Suche. Ihr Kind muss diesen Entschluss, aus dem Scheinwerferlicht herauszubleiben, noch einmal zementiert haben. Er hatte Julians Kindheit schon verpasst (mein ältestes Kind, ungefähr zur gleichen Zeit geboren, heißt auch Julian, nach dem Gitarristen Julian Bream.) Diesen Fehler wollte er nicht noch einmal machen.

Alles, was er später gemacht hat, hatte einen Sinn, passte zu dem, was er mir erzählt hat über das, was er machen wollte. Ich denke, er wurde falsch interpretiert von der Presse und von einer Öffentlichkeit, die ihres Idols beraubt wurde.

Die beiden luden mich ein, sie in New York zu besuchen. Ich habe es nie geschafft. Ich war bis ins Mark getroffen, als ich hörte, dass er gestorben war.

Ich habe nie über dieses Interview geschrieben. Ich hatte kein einziges Wort in mein Notizbuch eingetragen. Ich rief die Zeitung an und sagte, dass ich nicht reingekommen sei, ihn gar nicht gesehen habe.

Es war zu persönlich.

SUE MASTERMAN ist Chefin des Balkan-Büros der US-amerikanischen TV-Nachrichten „ABC News“ in Wien. Sie ist Jahrgang 1940 – wie Lennon. 1969 war sie Korrespondentin in den Niederlanden, u.a. für die „Times“. Aufgewachsen in Altrincham (Nordengland). Lieblingssongs: Nowhere Man, Imagine.

JOHN LENNON – DAS LEXIKON:geb. in Liverpool, 9. Okt. 1940, gest. in New York 8. Dez. 1980 (ermordet), englischer Rockmusiker, Gründer und Mgl. der Beatles. Nach Auslösung der Gruppe 1970 lebte er in den USA. Verheiratet mit Yoko Ono.