Mehr Mut zur Baulücke!

■ Sie ist das Pendant zur Grünen Wiese, von Stadtplanern geliebt, von den Eigentümern oft verkannt: Die Baulücke. Eine Begegnung mit dem Nichts.

Was ist besser: Eine Baulücke, die so richtig baulückenmäßig leer ist, hässlich vielleicht, aber doch irgendwie voller Unschuld – oder eine ehemalige Baulücke, die mit schlechter Architektur verstopft wurde, mit all ihren klobigen Erkern, überkandidelten Giebeln und Fenstern, so kunststoffbeladen, dass man fast zu weinen beginnt? Zugegeben, die Frage ist ketzerisch. Aber angesichts des hellen Jubels, der in Sachen Baulückenbekämpfung aus dem Bauressort schallt, muss sie erlaubt sein.

Natürlich geht es beim Bremer „Baulückenprogramm“, das es mittlerweile seit zehn Jahren gibt, in erster Linie ums große Ganze und nicht so sehr um architektonischen Geschmack. Durch die „Innenentwicklung“ sollen bestehende Stadtquartiere erneuert und belebt, die existierende Infrastruktur intentsiver genutzt werden – um nicht noch mehr Neubaugebiete auf der viel strapazierten grünen Wiese erschließen zu müssen.

Ursprünglich als eine Art Wohnungsbauprogramm aufgelegt, heißt die amtliche Devise heute „Sparsame Verwendung von Ressourcen“. Seit 1990 sollen in Bremen insgesamt 10.500 neue Wohnungen auf 2.500 Baulückengrundstücken entstanden sein. Und wenn in der – freilich nicht mehr ganz aktuellen – Bremer Baulücken-Broschüre auch viele Beispiele für entschieden hässliche Ex-Lücken sind – es gibt auch wirklich herausragende Ergebnisse. Wie beispielsweise das strahlend weiße St. Pauli-Stift am Kopf der Wilhelm-Kaisenbrücke an der Kleinen Weser.

Natürlich verschwinden Baulü-cken nicht einfach so. Im Stadtplanungsamt sitzt ein Team aus zwei Männern und einer Frau – das „Sachgebiet Baulücken“ –, deren einziges Trachten es ist, bekannte Lücken mit einem neuen Bauwerk zu vermählen oder bisher unbekannte zu identifizieren. Denn das Teuflische an den Baulücken – oder das Gute? – ist, dass es immer mehr werden, obwohl ja schon einige Zeit keine Bomben mehr fallen. Als Anfang der 90er Jahre Studenten zur Katalogisierung ausschwärmten, entdeckten sie 2.500 Exemplare in allen Bremer Stadtteilen. Bis heute sind 2.000 dazugekommen, die ganz einfach übersehen oder nicht erkannt wurden.

Schließlich ist Baulücke nicht gleich Baulücke. Da gibt es „Typ I“, wie Horst Friedrich erklärt, Fahnder der ersten Stunde und Wohnungswirt dazu: die „klassische Baulücke“ mit weniger als 50 Meter Straßenfront, schön öd und leer. Mittendrin ein Baum, vielleicht. Typ IIa ist da schon komplizierter: Er kann wie ein zu groß geratener Garten mit Häuschen aussehen. „Flächenmäßige Mindernutzung“ im Fachjargon. Typ IIb kennt man aus innenstädtischen Bereichen: Eine Lücke zwischen mehrgeschossigen Gebäuden, in der sich ein frecher Eingeschosser breit macht. Bauliche Mindernutzung, klarer Fall.

Eine identifizierte Baulücke ist indes noch keine geschlossene Baulücke. Schließlich gibt es da die Eigentümer, die gefunden werden müssen. Und wenn man sie hat, ist es keineswegs sicher, dass sie irgendetwas an der Situation ändern wollen. Fahnder Friedrich und sein Kollege Eberhard Mattfeld, die sich inzwischen aus der Neustadt bis an den Stadtrand vorgearbeitet haben, kennen da die merkwürdigsten Geschichten.

Sie handeln von Erbengemeinschaften, die amtlich nur noch „verstorben, verstorben, verstorben“ sind, und deren Erben sich wiederum vervielfacht und über Deutschland und die Welt verstreut haben. Nach Jordanien etwa, Duisburg oder Indien. Wenn die Recherchen beim Katasteramt nichts hergeben, forschen die Bremer Lückenfüller beim Standesamt oder Nachlassgericht. Einmal war ihnen auch schon das Konsulat in Madras behilflich.

Indes: Auch wenn die Eigentümer bekannt sind, heißt das noch lange nicht, dass sie auch verkaufen oder bauen wollen – oder können: Heillos zerstrittene Erben, Vater und Sohn, die sich nicht über die künftige Grundstücksnutzung einigen können, Menschen, die allergisch auf Verwaltungskontakte reagieren – all das sorgt dafür, dass eine Lücke Lücke bleibt. Horst Friedrich erinnert sich auch an eine 70-jährige, stinkreiche Dame aus Oldenburg, die einfach keine Notwendigkeit gesehen habe, etwas aus ihrem Bremer Grundbesitz zu machen. Sie habe ihn dann gefragt, ob eine Million in bar denn reichen würde, um die Lücke schließen. Ein schöner Tag für Friedrich. „Friede ihrer Seele“, sagt er.

Das ganz und gar unfriedliche Mittel eines behördlichen Baugebots sehen die Baulückenspezialisten nur als „ultima ratio“, die sie lieber vermeiden. In der City etwa müssten sie nachweisen, dass – beispielsweise – eine Aufstockung „objektiv“ wirtschaftlich sei. „Keine Chance“, meinen beide. Also beraten sie lieber, locken mit zinsgünstigen Hypotheken und anderem Zuckerbrot. Und verraten potenziellen Bauherrn, wo es noch schöne Baulücken gibt. Info: Tel. 3 61 69 07 hase