Islands Dichter

■ Ein Buch und eine Lesung stellen sie vor

Isländische Literatur? „Kalte Rose, geheime Insel“, sagt Jorge Luis Borges. Nun erschöpft sich das Leben der Menschen in Island weder in Runen, noch in Björks homogenic music. Und auch Meer, Küste, Felsen sind kaum hinreichende Erzählungen über das Erzählen, das Dichten in Island. Ein Band, der vor kurzem in der „edition die horen“ erschien, schafft etwas Klarheit. „Das Meer aus Blau / Und ein labiles Tief / Der blaue Ton / das Meer“, heißt es in einem Gedicht Linda Vilhjálmsdóttirs, dem auch der Titel „Wortlaut Island“ entstammt. Der Insellage, dem äußerst kargen Image mag es zuzurechnen sein, dass Literatur von dort von Halldór Laxness abgesehen im europäischen Maßstab zum Unbekanntesten gehört.

Das größte Verdienst von „Wortlaut Island“ ist wohl, hier einiges zurechtzurücken. Ja, es gibt Literatur in isländischer Sprache. Nein, sie handelt nicht nur vom Meer oder von germanischen Mythen. Naturlyrik, gewiss; auch Liebesgedichte. Daneben aber skurrile Geschichten, Alltägliches, Lakonisches und auch sehr sehr Schönes. „Patriotismus –“, heißt es an einer Stelle, „auf so einen hochgestochenen Quatsch gebe ich nichts / sagte der junge Seemann / und füllte sein Glas“. Die Sehnsucht nach dem „Duft von Heidekraut, danach, Beeren zu sammeln“ spiegeln ein hierzulande kaum denkbares Zugetansein, bar jedes Chauvinismus.

Die Beiträge in „Wortlaut Island“ sind so unterschiedlich, dass ein Herausfiltern der Besten unmöglich scheint. Mein persönlicher Favorit ist die ziemlich schräge Parabel „Die Taschenkrise“.

Eine junge Frau streift darin ideenlos durch die Straßen, ihrem Freund ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Schließlich fällt ihr Blick auf ein Schild: HIER WERDEN KEINE TASCHEN REPARIERT, steht da. Sie kauft und verschenkt das Stück, froh, doch noch etwas gefunden zu haben. Bis der Herbst kommt, Taschensaison. Durch Missverständnisse breiten sich nämliche Schilder epidemisch aus. Auf den Straßen wird diskutiert, die patriotisch Gesinnten echauffieren sich, es folgen Debatten und Untersuchungen. Chaos bricht aus. Bis schließlich die junge Frau verhaftet wird. „Die Gesellschaft konnte aufatmen.“ Und „das Reparieren von Taschen wurde ein beliebter und geachteter Erwerbszweig.“

Einen Einblick in Komik, Tiefe und dichterische Finesse bietet diese Anthologie, die – soweit man das als dem Isländischen nicht Mächtiger beurteilen kann – sämtlich souveräne Übertragungen versammelt. Als Vorgeschmack sei auf die Lesung ausgewählter Texte am Sonntag verwiesen. Tim Schomacker

„Wortlaut Island“ (edition die horen) kostet 39,80 Mark und wird am 10. Dezember um 11.30 Uhr im Ambiente, Osterdeich 69a, von Jürgen Dierking und Johann P. Tammen vorgestellt.