Arbeit als Fake

E.X.T.E.N.S.I.O.N.S. # 2.7 im Podewil baut Versuchsreihen zur Enthierarchisierung von Kopf, Körper, Autor und Stück

Künstler bei der Arbeit: Sie geben Interviews. So beginnt der Choreograph und Tanztheoretiker Xavier Le Roy das Projekt E.X.T.E.N.S.I.O.N.S im Foyer des Podewil an einem kleinen Tisch mit Tonbandgerät. Le Roy liest die Fragen vor und spielt die Antworten vom Band ein.

Damit ist ein Ziel von E.X.T.E.N.S.I.O.N.S erreicht, den Arbeitsalltag sichtbar in die Produktion einzubeziehen. Zugleich scheint das erste Paradox auf: Die Situation ist nur als Fake zu haben. Le Roy erfindet die Fragen zu seinen Antworten selbst. Den Beginn des Projekts schildert er sehr profan, um die ökonomische Basis der Kunstwerdung aufzudecken: Am Anfang stand ein Antrag an die Senatskulturverwaltung. 100.000 DM wurden für 1999 und 2000 bewilligt, und schon schrieb er Briefe, wer teilnehmen wollte an der großen Hinterfragung der Regeln der Performance. Zugesagt haben Choreographen, Tänzer (Jerome Bel, Antje Rose, u.a.), Künstler und Kunstkritiker (Laurent Goldring, Stefan Pente, Stephan Geene, u. a.). In E.X.T.E.N.S.I.O.N.S #1 (August 1999) machten sie sich sechs Wochen lang, sieben Stunden täglich, in einer Turnhalle im Wedding an die Arbeit.

E.X.T.E.N.S.I.O.N.S sucht die Erweiterung, Ausdehnung: Körper, deren Köpfe versteckt sind, falten schieben und verkeilen sich zu einem Bild eines wimmelnden Organismus. Man vergisst, wo oben und unten ist. Aufgehoben wird der Sinn für die Hierarchie längs der Körperachse. Doch Hierarchien abzubauen, bekennt Le Roy, sei schwerer als gedacht. Er wollte nicht Autor des Projekts bleiben und musste Aufträge zu seiner eigenen Abschaffung erteilen. Das führt zu Programmpunkten wie „Gespräch“, in dem er sich den Kritikern stellt.

Leichthändiger bekommen die Kids eines Jugendprojekts von Antje Rose die Unterwanderung der Zuschauererwartung in den Griff. Sie nutzen die Rituale des Sports für witzige Umkehrungen, tauschen Aggression gegen Sanftheit. Allerdings sind die Regeln des Sports leichter als Vereinbarungen zu erkennen und zu durchkreuzen als die Regeln der Performance, die das Warten auf das Unerwartete schon einprogrammiert haben. Diese Haltung wiederum nicht zu bedienen, gelingt dem Schweizer Künstler Stefan Pente in der Performance „fame“ durch eine Übererfüllung des Solls: Die Bühne bevölkert eine Freakshow von Yoga-Stars und Sexbomben, die alle zu einer unentwegt abgespielten Tonschlaufe ihren Fünf-Minuten-Ruhm mimen. Später hält Pente einen Vortrag über Winnetou und die Begegnung auf freiem Feld, in dem er ganz nebenbei eine geniale Definition von Choreographie gibt – aber auf der Folie eines Overheadprojektors. Theoretisch ist der Erkenntnisgewinn groß. Praktisch dagegen ist man froh, dass man als Zuschauer nicht in den Prozess involviert ist. So feiert E.X.T.E.N.S.I.O.N.S # 2.7 mit einem guten Schuss Selbstironie das eigene Scheitern.

KATRIN BETTINA MÜLLER

E.X.T.E.N.S.I.O.N.S # 2.7, 10. Dezember im Podewil, ab 19 Uhr