Betr.: Gao Xingjian

Sein intellektuelles Programm hat Gao Xingjian in dem dokumentierten Essay formuliert, vor der Nobelpreisverleihung hat er es konsequent angewandt – mit den erwartbaren Reaktionen. Bei der traditionellen Nobelvorlesung in Stockholm sagte Gao den Satz: „Jedes Mal, wenn Ideologie und Macht eine Verbindung eingingen und zu einer echten Kraft wurden, haben Literatur und Individuum ein Desaster erlebt.“ Er kritiserte die massive Verfolgung von Schriftstellern und den politischen Missbrauch von Literatur in seiner Heimat.

Die Offiziellen Chinas reagierten prompt: Die Regierung in Peking warf dem Preisträger am Freitag „niedere Motive“ vor. In einer Mitteilung des Außenministeriums hieß es: „Eine kleine Zahl von Leuten benutzt den Nobelpreis aus niederen Motiven. Indem die Gelegenheit der Preisverleihung benutzt wird, China anzugreifen, wird deren wahres Gesicht noch deutlicher. Es ist es nicht wert, kommentiert zu werden.“ Aus Stockholm verlautete, dass zur Verleihung am Sonntag kein offizieller Vertreter Chinas erscheinen werde. Das ist eine Reaktion, die in der Sprache der Diplomatie gerne mit dem Adjektiv „schard“ beschrieben wird.

Gao Xingjian hatte es auch an Deutlichkeit nicht fehlen lassen. In seiner Vorlesung meinte er, die gegen die chinesische Kultur geführte „Strafexpedition“ habe im Namen der Revolution zum öffentlichen Verbot von Büchern und ihrer Verbrennung geführt: „Seit 100 Jahren ist die Zahl der erschossenen, inhaftierten, zum Exil gezwungenen oder zur Zwangsarbeit verurteilten Schriftsteller in einem Ausmaß ins Zahllose gestiegen, das man mit keiner einzigen der kaiserlichen Dynastien in der gesamten Geschichte Chinas vergleichen kann.“