Ohne Mampf kein Kampf

■ 1993/94 stemmte sich eine ganze Gemeinde gegen die Schließung „ihres“ Flugzeugwerkes / Das Buch „Lemwerder ist überall“ erinnert an den 300-tägigen Widerstand der Belegschaft / Transall-Flugzeuge aus Lebkuchen

6. Dezember 1993, Nikolaus. Bäckersfrauen verteilen handliche Transall-Flugzeuge aus Lebkuchen an die Mitarbeiter des DASA-Flugzeugwerks Lemwerder. Titel der Aktion: „Ohne Mampf kein Kampf“. Drei örtliche Bäckereien hatten das solidarische Naschwerk zum Selbstkostenpreis hergestellt.

Auch solche Details würdigt das kürzlich erschienene Buch „Lemwerder ist überall“, das an den „langen Kampf im Flugzeugwerk Lemwerder 1993/94“ erinnert. Damals hatten die von der Arbeitslosigkeit bedrohten etwa 1.200 Beschäftigten mehr als 300 Tage Widerstand gegen die geplante Werksschließung geleistet. Erst nach dieser Frist verständigten sich Unternehmensführung, Landesregierung, Betriebsrat und IG Metall darauf, die Firma ASL zu gründen und den Standort Lemwerder zu erhalten. Mit Arbeitsplätzen für rund 700 Menschen.

In dem aktuellen Buch, das die Gemeinde Lemwerder herausgibt, sind zahlreiche Erinnerungstexte versammelt, Dokumente und geschichtliche/wirtschaftspolitische Analysen, die den besonderen Charakter des Arbeitskampfes zeigen sollen. Schließlich war nicht nur die Dauer des Widerstands etwas Neues in der Bundesrepublik, sondern auch die Form: Während auf der einen Seite an den vorhandenen Aufträgen gearbeitet wurde, um die Kundschaft nicht zu vergrätzen, fand auf der anderen Seite ein „klassischer“ Arbeitskampf mit Torwachen, Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen statt.

Es ist sicher keine Überraschung, dass sich in „Lemwerder ist überall“ jede Menge Gewerkschaftsleute und Betriebsräte zu Wort melden. Schließlich wird der Arbeitskampf in Lemwerder allgemein als Erfolgsnummer gewertet, und wohl aus diesem Grund stehen zu Beginn der rund 130 Zeilen auch ministeriale Grußworte aus dem Niedersächsischen. Zu den AutorInnen gehören jedoch auch Mitarbeiterfrauen („Zelthexen“), Auszubildende, Manager, Pfarrer, Journalisten, Politiker und andere Beteiligte, die belegen, wie vielfältig und regional verwurzelt der Widerstand gegen die Werkschließung offenkundig gewesen ist. Eine umfangreiche Chronik zeichnet die zeitlichen Stationen des Arbeitskampfes nach.

Die fotografischen „Impressionen“ am Anfang des Buches: Massenweise leere Stühle, auf der Lehne Papierschilder – „Ich soll entlassen werden.“ DASA-Männer und DASA-Frauen, die für ihre Jobs joggen. Lebkuchen-Flieger, Feuerkörbe, solidarische Trachtengruppen. Später: Ein gar nicht so gut bemäntelter Gerhard Schröder, Kinder, die ihre (Zukunfts-)Perspektiven aufzeichnen. Ein Fernsehgottesdienst. Dickbäuchige Flugzeuge, Manager mit dünnen Beinen.

Ein Fotoalbum, denkt man unweigerlich, das daher kommt wie ein Geschichtsbuch. Das Auffallende an „Lemwerder ist überall“ ist das merkwürdige – und wiederholungsgefährdete – Nebeneinander von privaten Erinnerungen, unreflektierten Binnenperspektiven, ja, sogar staatstragenden Dankesworten aus dem Munde von Landespolitikern. Das mag Vielfalt und Authentizität dokumentieren, wirkt jedoch auch ein wenig hausbacken. Dazu tragen auch die zumeist sehr schlechte Qualität der Schwarzweißfotos und das reichlich lieblose Layout bei.

Trotzdem: Wer an den Lemwerder-Ereignissen von 1993 und 1994 aus persönlichen oder regionalgeschichtlichen Gründen interessiert ist, für den kann das Buch eine Fundgrube sein. Ob es jedoch den Kolleginnen und Kollegen überall in Europa Mut machen wird, für ihre Zukunft zu kämpfen, bleibt abzuwarten.

hase

Gemeinde Lemwerder (Hrsg.), „Lemwerder ist überall“, Edition Temmen, 128 Seiten, gebunden, 29,90 Mark