Von Feen mit Glöckchen bis zu Gevatter Tod

■ In der Glocke spannte Bariton Thomas Quasthoff einen gewagten Repertoirebogen

Neulich sagte der Bariton Thomas Quasthoff im Fernsehen, es gäbe 80 Millionen Behinderte in Deutschland. Er habe den Vorteil, dass man ihm seine Behinderung ansieht. Nicht von seiner Conterganschädigung soll jedoch hier die Rede sein, sondern von seiner offensiven Intelligenz, die ihn fast zum alleinunterhaltenden Moderator befähigt. So kommentierte er auf das witzigste eine heruntergefallene Garderobenmarke, erklärte den anwesenden Kritikern, er sei erkältet – wegen des fehlenden Winters in Deutschland. Die Glocke war fast ausverkauft, was sonst innerhalb der Reihe „Glocke Vokal“ nur einer Cecilia Bartoli gelingt.

Und das, obschon Quasthoff und der Pianist Julius Zeyer alles andere als ein populäres Programm boten. Es war nicht unproblematisch, mit drei frühen Liedern von Franz Schubert zu beginnen, und es lag wohl nicht an der Indisposition, dass die nicht so richtig überkamen. Quasthoff ist ein ungemein direkter Sänger, der seine Interpretationen nicht mit allzu reflektierender Art zudeckt. Und so litten diese Schubertlieder unter einem Mangel an Doppelbödigkeit. So wurde der experimentelle Geist des 15-jährigen Komponisten nicht hörbar. Sänger und Pianist wagten keine Klangfarben, wagten keine Poesie, dies besonders in der „Szene aus Faust“, der Szene im Dom mit dem bösen Geist, Gretchen und dem Kirchenchor.

Carl Löwe hat als Komponist kaum einen Ruf, und wenn er einen hat, dann den biedermeierlicher Naivität. Dass Quasthoff ihn mit der Interpretation von fünf Balladen und Liedern zu einem geradezu unterschätzten Komponisten machte, war nicht zu erwarten. Trotzdem realisierte Quasthoff die Vertonung von Herders Ballade „Edward“ eindringlich. Auch „Die Uhr“, die ihr Dichter Gabriel Seidl an unterschiedlichsten Orten schlagen ließ, ging richtig ans Herz. Und der nordische Nöck, der so schön singt und der edle Prinz Eugen (Freiligrath), der am Ende mit der Marketenderin schäkert: Die Interpretationen waren eine helle Freude. Schade, dass Quasthoff seinen Löwe-Zyklus mit sicher einem der schlechtesten Lieder Löwes beendete: dem unsäglichen „Tom der Reimer“ von Theodor Fontane, der eine Liebesbegegnung erlebt mit einer glöckchenbimmelnden Fee, der er sieben Jahre hörig wird. O je ...

Dann folgte ein Werk von Aribert Reimann, einer der zeitgenössischen Komponisten, deren Werke für Stimme ungebrochen in der belcantesken und expressivem Gesangstradition beheimatet sind. „Entsorgt“ von Nicolas Born für Bariton solo (1989) gelang mit großer Stimme und großen Kantilenen.

Die verzweifelte Todesbereitschaft der „Vier ernsten Gesänge“ von Johannes Brahms ist Quasthoffs Lebensgefühl wohl eher fremd, so dass seine minimale Indisposition hier fast ein Gutes hatte. Sowieso war der Abend technisch makellos. Glänzend ist Quasthoffs Übergang in die Kopfstimme und enorm ausgeglichen sind die Registerwechsel seiner großen Stimme. Julius Zeyer könnte für seine Begleitungen etwas konturenreicher sein. Stehende Ovationen für Thomas Quasthoff, der versprach wiederzukommen.

Ute Schalz-Laurenze