: Spandau will was werden
Spandauer Lokalpatrioten wollen die Fußballteams des Bezirks zum 1. FC zusammenschmieden. Nur langsam erwacht der Papiertiger zum Leben. Die Chefs der bisherigen Vereine wollen nicht so recht
von JÜRGEN SCHULZ
Spandau ist mit 223.000 Einwohnern doppelt so groß wie Kaiserslautern. Aber vielen Fußball-Fans erscheint der westlichste Stadtbezirk auch doppelt so tot. Während in der Pfälzer Provinzmetropole, der kleinsten Bundesligastadt Deutschlands, sogar Europacup-Geschichte geschrieben wird, kommen Spandaus 13 Fußballklubs nicht über Verbandsliganiveau hinaus. Hochstimmung an der Havel herrscht allenfalls, wenn die Erzrivalen Spandauer SV (SSV) und Spandauer BC (SBC) auf fünftklassigem Niveau gegeneinander antreten. Dann pilgern schon mal 300 Zuschauer ins Stadion.
Doch diese Grabesruhe weicht zunehmend einer nervösen Angespanntheit. Der 1. FC Spandau sorgt für Unruhe. Werner Salomon, Präsident des bereits im April 1997 gegründeten 1. FCS, will alte Zöpfe abschneiden. „Wir wollen das Beste vom Besten für Spandau. So wie bisher kann es nicht weitergehen.“ Salomon ist nicht irgendwer. Als langjähriger Bürgermeister des Bezirks kennt er die Sorgen und Nöte der lokalen Fußballszene nur zu genau. „Den meisten Vereinen geht es doch finanziell schlecht“, weiß Salomon. Gerade dieses Insiderwissen alarmiert die Vereine.
In einem Bürocontainer am Rande des Helmut-Schleußer-Stadions am Askanierring hat der 1. FCS sein Hauptquartier bezogen. Dreieinhalb Jahre lang existierte der Klub lediglich auf dem Papier. Sein ursprünglicher Lebenszweck, einen Spandauer Dachverband für die ihres Einzelgänger-Daseins überdrüssigen Vereine zu bilden, schien sich nicht zu erfüllen. Alle 13 ortsansässigen Klubs beharrten auf Eigenständigkeit.
Doch nun hat der erste Verein zugesagt. „Der SC Ruhleben sitzt bei uns definitiv im Boot“, freut sich Manager Rolf Finger auf den formellen Beitritt des Bezirksligisten im Januar 2001. Damit nähme der 1. FCS auch sportlich Gestalt an. Im Sommer könnte er anstelle von Ruhleben loskicken.
Brigitta Haberstroh, Geschäftsführerin der Ruhlebener, sieht keinen Sinn mehr im Weiterwursteln. Innerhalb eines Jahres hätten 100 Ruhlebener ihre Mitgliedschaft gekündigt. In den höheren Altersklassen könnten mangels Masse keine Jugendmannschaften mehr aufgeboten werden. „Ruhleben hat keine Zukunft mehr“, lautet das traurige Fazit der Funktionärin.
Nach dem Ruhlebener Offenbarungseid rechnet Salomon insgeheim mit einem Domino-Effekt. Erste Kontakte zu den bezirklichen Aushängeschildern SSV und SBS sind bereits geknüpft. Auch mit Blau-Weiß und Schwarz-Weiß Spandau wurde geredet. Noch sträuben sich die Traditionsvereine, obwohl Salomon appelliert: „Bitte, schmeißt Euren Vereinsegoismus über Bord!“ Während der frühere Politiker mit dem Zuckerbrot lockt, droht Kollege Finger mit der Peitsche. Auch bei den brandenburgischen Nachbarn in Falkensee oder Nauen werde „ein guter Ball gespielt“. Der 1. FCS-Manager schließt eine Westerweiterung nicht aus: „Vielleicht besteht dort die Bereitschaft, bei uns mitzumachen!“
So kommt notgedrungen Bewegung in die verkrustete Fußballwelt an der Havel. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der SSV sein Regionalliga-Abenteuer 1999 mit Schulden beenden musste. Auch beim Erzrivalen SBC steht es finanziell angeblich nicht zum Besten. Längst hat sich herumgesprochen, dass Finger mit seinem 1. FCS auf eine wahre Goldader gestoßen sein muss. „Wir wollen in Berlin hinter Hertha und Union die dritte Kraft werden“, tönt Finger und hat damit bei ortsansässigen Firmen anscheinend offene Türen eingerannt. Angeblich plant der 1. FCS mit einem stattlichen Etat in Höhe von 250.000 Mark für die Premieren-Saison. „Bei uns ist ein Stimmungsumschwung im Gange“, bekennt Wolfgang Seidel. Der Vorsitzende des SSV, der für seine Pro-1.FCS-Stimmung vor Jahren intern verbale Prügel bezog, sieht im neuen Dachverein die Chance für eine gemeinsame, bessere Zukunft in der Havelstadt.
Auch Seidels SBC-Kollege Peter Mai bekennt nach Lage der Dinge: „Wir stehen dem 1. FC Spandau positiv gegenüber. Die Tradition darf der Zukunft nicht im Wege stehen.“ Doch den Machern des 1. FCS scheint bei so viel Harmonie der Glauben zu fehlen. „Ich habe keine Lust, in schusssicherer Weste zur Arbeit zu gehen“, graut es Vizepräsident Manfred Bartels bei dem Gedanken, gemeinsame Sache mit den nur vordergründig geläuterten Aushängeschildern SSV und SBC machen zu müssen. Nur zu gut sind dem früheren SSV-Geschäftsführer die bis zur Handgreiflichkeit ausartenden Zwistigkeiten zwischen Anhängern beider Klubs in Erinnerung. „Am Ende“, hofft FCS-Präsident Salomon, „wird in Spandau die wirtschaftliche Vernunft siegen.“
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