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: Wie Schalke 04 es sogar schafft, Schwule zu Kurzzeitheteros macht

Emotionale Entblößung

Seit drei Wochen hat die Bundesliga noch einen Reiz dazu gewonnen. Vorher konnte man mich aber auch schon hin und wieder beim Fußballgucken erwischen. Ich bin aus Prinzip gegen Bayern, Bremen und Köln tun mir Leid, und ein Spiel der Löwen schaue ich (wegen Ned Selic) manchmal ganz. In der 2. Liga verfolge ich mit unfairer Schadenfreude den Abstieg Osnabrücks – die Niedersachsen haben einen ganz klaren Heimnachteil bei mir.

Aber vor allem Schalke ist es, wo ich aufmerke. Was bekanntlich an meinem besten Freund liegt, dem Mega-Schalke-Fan, der einzigen Tunte auf der Welt, die bei jedem Spiel, das nicht im Fernsehen übertragen wird, mit Fähnchen und in Königsblau vor dem Radio sitzt. Dem das gnädige Schicksal auch noch einen reizenden Partner an die Seite gestellt hat, der genauso großer – wenn auch nicht so emotional entblößender – Fußballfan ist. Die beiden lieben sich, wohnen zusammen, und wenn Schalke gegen den 1. FC Köln spielt, dann gucken sie in getrennten Räumen. Mein bester Freund sitzt, nervös wie ein junges Hündchen beim Tierarzt, vor dem Fernseher (oder dem Radio) in seinem blauweißen Schlafzimmerchen und wiegt sich autistisch hin und her, wenn es allzu spannend wird. Sein Liebster muss manchmal sogar in die Kneipe bei uns im Haus gehen, um noch weiter weg zu sein, wo er sich nahtlos in die grölende, saufende Heteromasse vor dem Riesenfernseher einfügt. Wessen Mannschaft verliert, der darf nach dem Spiel als Trost in die Sauna.

Aber jetzt zu dem denkwürdigen Samstag vor drei Wochen: Da schoss Ebbe Sand bekanntlich die Herthaner an die Wand. Mein bester Freund war natürlich im Stadion (er fährt zu allen Spielen, die man an einem Tag erreichen kann, und nimmt dabei stundenlange Fahrten in klitzekleinen Autos in Kauf). Nach dem Spiel und Schalkes verdientem Sieg taumelte er glückselig wie eine besoffene Motte mit neuen Schalke-Fan-Freunden durch die Gegend, soff wie 20 Bauern beim Schützenfest, und landete schließlich in der Kneipe in meinem Haus. Wo er anfing MIT EINER FRAU ZU KNUTSCHEN. Mit Zunge. So glücklich und verwirrt hatte ihn der Erfolg seiner Mannschaft gemacht.

Es lief übrigens nichts. Die Frau hat schon einmal angerufen, doch mein bester Freund will nicht mehr. Aber ich gehe jetzt bei jedem Schalke-Spiel zu ihm. Und wenn er mich wie vorgestern (Schalke gewinnt unverdient gegen Stuttgart), durch einen leichten Klapps hintendrauf wegschubst, weil ich ihm beim konzentrierten Gucken im Weg stehe, dann sage ich „Na, machst du wieder Mädchen an?“ JENNI ZYLKA