berliner szenen
: Mark E. Smith bei pro qm

Ewiger Held

Eine leichte Hysterie lag das ganze Wochenende über Berlin. Mark E. Smith, genau, der Mark E. Smith von The Fall, sollte am Sonntag in der pro-qm-Buchhandlung auftreten. Voreilige machten gleich ein The-Fall-Konzert daraus, gut informierte Kreise wussten natürlich, dass es sich um eine tänzerisch begleitete Spoken word performance anlässlich einer Buchpräsentation handeln würde.

Bei der pro-qm-Geburtstagsfeier im Oktober war Mark E. nämlich zufällig in die Themenbuchhandlung geschneit und gleich so begeistert, dass er sich wenig später für den Auftritt engagieren ließ. Und so hatten sich am frühen Sonntagabend Avantgardemusikerinnen, Popsachverständige, Szene-DJs, Kunstkritiker und The-Fall-Hörer feierlich versammelt. Die Bücherregale waren kunstvoll verhängt und verklebt, um nicht durch unnötige Sachbuch- und Theorieanhäufung von dem Ereignis abzulenken, und auf der kleinen Empore im Hinterzimmer standen Stuhl, Mikrofon und technisches Gerät bereit.

Eine geradezu andächtige Stimmung lag über der Themenbuchhandlung, war doch schon die körperliche Nähe des Musikers, ihres „einstigen Helden“, wie viele Besucher betonten, ein Erlebnis. Mark E. Smith gehört wohl zu den Menschen, die ihr ganzes Leben lang wie 38 aussehen: Mit seinen leicht verboxt wirkenden Augen, seiner jugendlichen Haltung und dem stets freundlich-zynischen Lächeln auf den Lippen wurde er natürlich sofort erkannt.

Er erklomm die Empore, sagte „Hello“, und sobald das Band lief, tat er das, was man von ihm kennt und erwartet: In engagierter Rede, in der ihm eigenen constant complaining speech, wetterte er zu einem Schlagzeug-Loop los.

Dazu schritt Michael Clark mit seiner verfremdeten Alltagskleidung – augenaussparende Skiwollmütze und Sonnenbrille – durch die Menge, um sich schließlich in hoch konzentrierter Körperarbeit die gründerzeitliche Wendeltreppe hochzuwinden. Eine architektonische Besonderheit, die Treppe endet jäh an der Zimmerdecke, forderte den Tänzer besonders heraus: In extremer Verharrung setzte er Körperkraft gegen totes Material ein, weswegen pro qm seit Sonntagabend ein berühmtes Loch in der Zimmerdecke hat.

Auf der Empore angekommen zog Clark in eigenwilliger Choreografie die Schuhe aus und tanzte in weißen Zehensocken weiter. Die Zehensocke verhält sich zur Socke wie der Fingerhandschuh zum Fausthandschuh: Jede Zehe hat ihre eigene Stoffausbuchtung.

Zuerst zeigte Clark Aufwärmübungen an der Stange, dann schwang er sich gefährlich über die Balustrade und vollführte kunstvolle Verrenkungen. Mark E. Smith wiederum doppelte sich selbst. Zu The-Fall-Stücken vom Band rollte er gefährliche Worte, setzte ausdrücklich und verächtlich E-Endungen an Substantive („House-e !“) und beschwerte sich nachdrücklich über einen Box-Letter.

Nach 20 Minuten war die Performance oben beendet. Die Zuschauer unten waren ratlos und doch schwer beeindruckt. Ein denkwürdiger zweiter Advent.

CHRISTIANE RÖSINGER