boris beckers tränenerotik:
von KLAUS BITTERMANN
Was ist bloß mit den Deutschen los? In einem Anfall von Geschmacksverwirrung haben sie Boris Becker zum erotischsten Mann des Jahres erkoren. Das lässt tief blicken. Und zwar in Abgründe, die man so genau nicht ergründen will, denn was da zum Vorschein käme, wäre sehr, sehr übelriechend. Was, so gerät man arg ins Grübeln, ist an einem Mann erotisch, der in einem cognacfarbenen Anzug mit Schlangenmuster aussieht wie ein Proll, der nicht weiß, wie er anders die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann? Der ganz intim der Bild am Sonntag mit dem Scheitern seiner Ehe das Blatt vollheult. Eine Ehe, die selbstverständlich dem ungeheuren Druck der medialen Öffentlichkeit ausgesetzt gewesen und daran zugrunde gegangen sei.
Es ist immer wieder die gleiche Lüge und das gleiche Liedchen, das von der gesamten peinlichen Prominenz gesungen wird. Man beklagt das gemeine Eindringen des Boulevards in die Privatsphäre, denn ganz tief in seinem Herzen will man doch nichts weiter als das, was jeder normale deutsche Mann will, nämlich seine Ruhe am heimischen Herd genießen, so die ranzige Heuchelei. Dabei verschafft der Boulevard den armen Schweinen doch erst ihre Existenzberechtigung, denn nur dadurch, dass sich der Boulevard sozialarbeiterisch dieser Leute annimmt und in der Öffentlichkeit den falschen Eindruck vermittelt, Leute wie Boris Becker hätten etwas Mitteilenswertes zu sagen, werden selbst Schmalspurheinis mit einer Bedeutung so weit aufgeblasen, dass sie dem von den Medien vermittelten Bild über sich zu glauben beginnen.
Becker dient als bezahltes Schwenkfutter für jede Kamera. Er ist nur einer unter vielen seiner prominenten Kollegen, die den Hals nicht voll kriegen können, und vielleicht aus diesem Grund sind sie auch so beliebt. Sie haben mit der in Deutschland so beliebten Abgreifermentalität Erfolg, und deshalb verehrt man sie. Man fragt nicht, warum muss der sein Gesicht in jede Kamera halten, sondern man würde ihn hassen, wenn er es nicht täte.
„Ich glaube nach wie vor an die Institution Ehe. Es ist wichtig für unsere Gesellschaft, dass es sie gibt“, gibt Becker bereitwillig Einblick in sein vor Dürftigkeit nur so strotzendes Verständnis von dieser Welt. Nur dumm, dass das Leben sich eben nicht so einfach in das Strickmuster der Institution Ehe fügt. Bei manchen hilft auch die Erfahrung nicht, um klug zu werden. Dann weint sich einer wie Becker in einem „offenherzigen Interview“ vor aller Welt im Kraftmeierjargon aus: „Das ist eine verdammt persönliche Angelegenheit, die da gerade bei uns abgeht. Das in der Öffentlichkeit auszutragen ist brutal.“ So verdammt persönlich ist die Angelegenheit, dass er sie, natürlich mit der gebotenen „Betroffenheit“, zur Inszenierung benutzt, indem er sich mit seinen ganz privaten Bekenntnissen – „Wir haben beide geweint“ – ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit begibt, die ein Mann wie Becker niemals aus den ach so verheulten Augen verliert. Und genau das ist Beckers deutsche Schlangenerotik: noch aus jedem seiner Drüsensekrete eine Mark herauszuwringen.
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