die stimme der kritik
: Betr.: E pericoloso sporgersi

Wenn Oberleitungen es nicht mehr aushalten

Neulich, im überfüllten Regionalexpress, hat wieder einer die Nerven verloren. Als sich die Verspätung auf 20 Minuten addierte (eine eigentlich lächerliche Marge), meinte er: „Die sollten einfach aufgeben. Feierlich erklären: Tut uns Leid, wir können es nicht. Und den ganzen Schrott verschenken. An irgendwen. Und sagen: Versucht ihr’s, es kann nur besser werden.“ Ein anderer assistierte: „Ich leg meine neue Bahncard obendrauf; morgen kauf ich mir ein Auto.“

So geht das in diesen chaotischen Bahntagen. Die Verfrühungen schrumpfen (zum gleichen Zug am nächsten Tag) – und bald stündlich scheint sich irgendwo irgendwer, vom Bahnwahn zermürbt, vor einen Zug zu werfen. Nur: Wenn all die Verspätungen, die mit Personenschäden entschuldigt werden, tatsächlich stimmen würden, wären die Deutschen längst ausgestorben. Wahrscheinlich war nur erneut eine Signalanlage aus Gründerzeiten kollabiert, ein Lokführer beleidigt nicht zum Dienst erschienen, oder es hatten sich wieder mal Oberleitungen ängstlich zu Spagetti zusammengekuschelt, weil sie es auch nicht mehr aushalten.

Es steht schlimm. Aber Meckern bringt nix. Wir sollten beim Bahnfahren (Zeit ist ja genug) lieber die kleinen Dinge genießen. Glück verheißen etwa Bahners Schilder. Wer erinnert sich nicht an „E pericoloso sporgersi“, jene melodiöse Übersetzung ins Italienische, die jahrzehntelang vor dem Hinauslehnen aus den Fenstern warnte. Heute sind die meisten Wagen auslehnensdicht: keine Gefahr mehr, alles paletti mit pericolo. Aber: Immer noch sind Bahns Schilder viersprachig, Italienisch ist die vierte Sprache. Tür zu: chiuso! Warum? Warum nicht Türkisch, was wahrlich mehr Leser fände? Oder Spanisch? Ist es Schwellenangst, beim Neuen unter die Räder zu kommen?

Nein. Die Antwort kann nur lauten: weil es immer so war. Die Bahneroberübersetzernebenbehörde hat immer Italienisch gemacht. Ist Italien ausgestorben? Nein. Also. Warum dann ändern!? So ist die Bahn. Darüber könnte man höhnen, aber besser wäre auch hier: Hoffnung schöpfen, das Glück greifen.

Stellen Sie sich nur mal vor, schon die alten Römer wären Bahn gefahren. Auf Lateinisch hätte da gestanden: Est periculosum se flectere foras (Gefährlich ist’s, sich nach draußen zu flektieren). Und heute? Würde es selbstverständlich immer noch auf Lateinisch dastehen. Da ist Italienisch doch modern. Zukunftsweisend. Hip und hop. Fast schon sexy. Wir hoffen weiter.  BERND MÜLLENDER