„Wir zahlen jetzt schon mehr“

Präsident des Bundesamtes für Naturschutz, Hartmut Vogtmann, fordert Ökorichtlinien bei der WTO, plädiert für Umstellung auch von Schwein- und Geflügelhaltung und ist gegen Gensoja. Große Betriebe können artgerecht produzieren

INTERVIEW: REINER METZGER

taz: Wir müssen „weg von den Agrarfabriken“, meint der Bundeskanzler anlässlich des BSE-Skandals. Wie soll das denn plötzlich gehen?

Hartmut Vogtmann: Wir müssen da ansetzen, wo bisher vieles falsch gelaufen ist – bei der Agrarpolitik. Die muss in ihren Förderungszielen weg von den produktionsorientierten Subventionen und hin zu einer Förderung, die die Kriterien Naturverträglichkeit, Umweltschutz und auch Soziales mehr berücksichtigt.

Subventionen sind aber EU-Sache.

Richtig. Dort wird im Rahmen der Agenda 2000 bisher aber noch viel zu wenig für diese Ziele getan. Aber es ist jetzt schon einiges möglich. So hat Frankreich schon zehn Prozent seiner Agrarmittel für Naturschutz, Landschaftspflege oder Arbeitsplatzerhaltung im ländlichen Raum umgewidmet. In Deutschland hat sich hier zu wenig getan.

Müssten nicht viel radikaler die berüchtigten Riesenbetriebe zerschlagen werden?

Großes ist nicht per se schlecht. Es gibt auch große Betriebe, die art- und naturgerecht wirtschaften. Was für eine naturverträgliche Landwirtschaft passieren müsste, haben wir in einem Arbeitspapier zum Entwurf des Bundesnaturschutzgesetzes formuliert. Dies wird nun innerhalb der Bundesregierung und im parlamentarischen Raum diskutiert.

Welche Kriterien wären das denn zum Beispiel?

Etwa den Viehbesatz auf maximal zwei Großvieheinheiten pro Hektar (also z. B. zwei Kühe auf 10.000 Quadratmeter; die Red.) zu begrenzen. Dann würde kein Landwirt mehr Vieh halten, als seine eigene Ackerfläche an Dünger – also Gülle und Mist – verträgt. Sonst müssen die Bauern extern Kraftfutter zukaufen, weil im Betrieb die Futterbasis fehlt. Sie können das auch regional produzieren, wenn sich mehrere Betriebe zusammenschließen. Antibiotika und leistungsfördernde Zusätze wären verboten. Wünschenswert wäre es auch, fünf Prozent der Betriebsfläche für den Naturschutz zu reservieren.

Ist genmanipuliertes Soja ein ökologisch korrekter Futterersatz für das verpönte Tiermehl?

Ich finde, dass die Fütterung von Gensoja keine Lösung ist. Hier würden wir von einem Risiko ins nächste schlittern. Bei geringeren Rinderbeständen ist es auch nicht nötig, Gensoja zuzufüttern.

Würde es nach einer Umstellung weiter Massentierhaltung geben?

Nein, bestimmt nicht in diesem Ausmaß. Wichtig dabei ist, dass man nicht bei der Umwandlung der Rinderhaltung stehen bleibt, sondern ebensolche Kriterien für die Schweine- und Geflügelhaltung durchsetzt.

Schön und gut. Solche Maßnahmen verteuern aber die Fleischpreise. Dann kommen billige Importe aus Ländern ohne Vorschriften, und die Verbraucher kaufen das.

Bei den Landwirtschaftspreisen streuen wir uns doch sowieso Sand in die Augen. Laut einer Untersuchung gibt eine vierköpfige Familie in der EU 4.200 Mark im Jahr für Lebensmittel aus. Die gleiche Familie hat aber vorher schon 3.600 D-Mark über Steuern in die Agrarpolitik der EU eingezahlt. Wenn wir ganz ehrlich sind, kostet das Schnitzel also 80 Prozent mehr, als auf dem Preisschild steht. Das haben die Verbraucher bloß noch nicht gemerkt. Und die Kosten der Umweltauswirkungen unserer momentanen Landwirtschaft sind da noch gar nicht eingerechnet.

Trotzdem sind die Importe billiger.

Da sind wir automatisch bei der Welthandelsorganisation. Die WTO wird bei der anstehenden Verhandlungsrunde die derzeitige produktionsorientierte Förderung der EU beanstanden. Wir müssen also sowieso auf die Förderung von Umwelt- und Sozialkriterien umsteigen. Diese Kriterien müssen bei der WTO-Bemessung mit einbezogen werden und nicht wie bisher nur ökonomische. Dafür muss sich Europa stark machen.

Wie lange würde denn so eine Umstellung der Betriebe dauern?

Fünf Jahre bei kleinen und mittleren Mischbetrieben mit Ackerbau und Viehzucht. Bei Großbetrieben, die nur wenige Feldkulturen anbauen, dauert es zehn bis fünfzehn Jahre. Das sind grobe Schätzungen aufgrund der Erfahrungen bei der Umstellung von konventioneller auf Ökolandwirtschaft. Wichtig ist, dass nicht nur die Verbraucher jetzt bereit sind zu handeln. Wir müssen auch die verarbeitende Industrie und den Handel mit ins Boot nehmen. Wenn der Verbraucher seine Macht mit dem Einkaufskorb nutzt, könnte das klappen. Denn die Industrie liefert, was der Verbraucher kauft.