Nur ein kleiner Tropfen Blut

Hartmut C. soll seine Frau umgebracht haben. Die Leiche wurde nie gefunden  ■ Von Elke Spanner

Früher haben sie bei Familienfeiern zusammengesessen, Wein getrunken, über die Zukunft der Kinder gesprochen. Schon immer, so tritt nun zutage, haben sich die beiden gehasst. Es war Monika C., die Ehefrau des einen und Schwester des anderen, die die Familie zusammenhielt. Nun ist sie verschwunden, spurlos, und mit ihr der Grund, die tiefe Feindschaft mit oberflächlicher Freundlichkeit zu überspielen. Jetzt sitzen sich ihr Bruder Klaus B. und ihr Ehemann Hartmut C. als Gegner im Lübecker Landgericht gegenüber. Klaus B. klagt seinen Schwager an, seine Frau umgebracht zu haben. Morgen wird verkündet, ob der lebenslang ins Gefängnis kommt oder freigesprochen wird. Die Anklage lautet auf Mord. Auf Mord ohne Leiche. Gefunden wurde Monika C. nie.

Mittwoch, 6. Januar 1999, so gegen 14.30 Uhr. Die Haushälterin verlässt die Villa in Ratzeburg, Wert über eine Million Mark, davor der schwarze 320er BMW-Cabrio von Hartmut C. Die Eheleute bleiben alleine im Haus zurück. Monika C. will ihre Mutter besuchen gehen. Die wohnt um die Ecke. Da kommt sie nie an. Eine Zeugin will die Frau noch auf dem Gehweg zum Haus der Mutter angetroffen haben. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte Hartmut C. bereits das Haus verlassen, bepackt mit blauen Müllsäcken – und der Leiche, ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Hartmut C. bestreitet die Tat.

Es gibt keine Spuren, die zeigen, wie er den Mord begangen haben soll. Es gibt keine Leiche, kein Tatwerkzeug, nur einen kleinen Tropfen Blut. Den erschnüffelten Leichenspürhunde unter dem Schreibtisch von Hartmut C. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, damit den Tatort gefunden zu haben. Der Beweis, sagt die Anklage. Nicht mehr als ein kleiner Hinweis, hält die Verteidigung dagegen. Denn Leichenspürhunde können nicht unterscheiden, ob Blut von Lebenden oder von Toten stammt.

C. hatte an jenem Tag einen Leihwagen gemietet, einen geräumigen Ford Mondeo Kombi. In das, so die Anklage, lud er die Tote aus seinem Wagen um. Laut Tacho ist er eine weite Strecke gefahren. Im erreichbaren Umkreis im Kreis Herzogtum-Lauenburg, in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern durchkämmte die Polizei das Gelände. Tatsächlich fand sie eines Tages eine Leiche. Die von Monika C. war es nicht.

Er ist trotzdem der Mörder, sagt deren Familie. Geschlossen hat sie sich gegen den Ehemann gewandt. An ihr Geld wollte er kommen, hält man ihm vor. Monika C. war vermögend, ihr Mann war es nicht, Gütertrennung. Sie besaß Fitnessstudios in Lübeck, Ratzeburg und Hamburg. Es waren ihre Unternehmen, ihre Konten, ihr Erfolg. Kurz vor ihrem Verschwinden hatte sie die Konten für den Ehemann sperren lassen. Hartmut C. würde alles tun, um an Geld zu kommen, berichtete der Bruder der Verschwundenen eifrig vor Gericht. Aus Gier habe er schon zwei Menschen in den Selbstmord getrieben. Eine der beiden angeblich Toten trat unmittelbar nach ihm als Zeugin auf.

Nicht nur das Vermögen, auch die Ehe wollte Monika C. trennen. Für den 8. Januar hatte sie einen Termin bei einem Rechtsanwalt vereinbart, „eilige Familiensache“. Womöglich habe er von der Scheidung erfahren, mutmaßt die Staatsanwaltschaft, und sie aus Wut umgebracht. Dass er zum Jähzorn neigt, hatte C. vor ein paar Jahren gezeigt. Da hatte er den damaligen Liebhaber seiner Frau verprügelt, als er die beiden im Bett vorfand.

Hartmut C. selbst behauptet, Opfer einer Familienfehde zu sein: „Ich werde weiter nach meiner Frau suchen.“ Auch seine Rechtsanwältin hält für denkbar, dass die Frau untergetaucht oder Opfer einer Gewalttat durch Unbekannte geworden sein könnte. Anhaltspunkte dafür gebe es keine, aber ebensowenig dafür, dass es nicht so war. Und es könne nicht eindeutig ausgeschlossen werden, dass die Frau noch lebt. Ein Rentner ist sich sicher, dass es Monika C. war, die er Tage später in einem Kaufhaus gesehen hat: „Das Gesicht dieser Frau hat mich fasziniert.“

Das Lübecker Landgericht hatte Anfang der 70er Jahre schon einmal über einen „Mord ohne Leiche“ zu entscheiden. Es verurteilte einen Mann zu lebenslang, dessen vier Freundinnen vor der versprochenen Hochzeit ebenso verschwunden waren wie ihr Geld. Auch in Russland kam ein Mann ins Gefängnis, der seine Ehefrau getötet haben sollte. Zwölf Jahre war er in Sibirien in Haft, als die Verschollene plötzlich wieder vor ihm stand. Da brachte er sie tatsächlich um. Für jedes Verbrechen kann man nur einmal verurteilt werden.