Piratenblut zu rot

Mit dem Urteil gegen Radprofi Pantani und der Razzia in Sportstudios profiliert sich Italiens Staat als Vorreiter der Dopingbekämpfung

aus Rom MICHAEL BRAUN

Als erster die Ziellinie zu überqueren, daran ist Marco Pantani spätestens gewöhnt, seitdem er 1998 sowohl die Tour de France als auch den Giro d’Italia triumphal gewann. Radsportfans kennen die Bilder zur Genüge: „Il Pirata“, der Pirat mit dem markanten Glatzkopf, der mit gereckter Faust jubiliert.

Jetzt ist Pantani wieder mal Erster geworden, doch diesmal schaute er ausgesprochen finster drein: Als erstem Sportler überhaupt wurde ihm die zweifelhafte Ehre zuteil, von einem ordentlichen Gericht wegen „Sportbetrugs“ zu drei Monaten Haft, 1.200 Mark Geldstrafe sowie einer sechsmonatigen Sperre für alle sportlichen Wettbewerbe verurteilt zu werden. Luisa del Bianco, Richterin in der italienischen Kleinstadt Forlí, hatte über einen Vorfall aus dem Jahr 1995 zu urteilen. Bei dem Rennen Mailand – Turin war Pantani von einem Auto angefahren und verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden; die routinemäßigen Blutuntersuchungen ergaben damals einen recht ungewöhnlichen Hämatokritwert von 60,1 Prozent im Blut (normal sind 42–45 Prozent).

Vier Jahre ruhte das peinliche Analyseergebnis sicher in den Krankenakten. Doch 1999 wurde Pantani vom Giro d’Italia ausgeschlossen, weil er nicht nur bei den Zeiten, sondern auch bei den Hämatokritwerten klar in Führung lag. Zur sportlichen Pleite kam juristischer Ärger: der Turiner Staatsanwalt Raffaele Guariniello, der seit Jahren Dopingsündern auf den Fersen ist, begann sich für den Piraten zu interessieren. Er kam zur Überzeugung, dass Pantani sein Blut über Jahre systematisch mit Epo pushte, und stieß auch auf die Akten von 1995.

Dennoch schien die Angelegenheit für Pantani gut auszugehen. Zunächst wurde Guariniello die Zuständigkeit zugunsten des Gerichtes von Forlí entzogen, dann legte der dortige Staatsanwalt seine Prozessstrategie auf Freispruch des Angeklagten an. Das Gericht folgte aber den noch von Guariniello bestellten Gutachtern, die für den extrem hohen Hämatokritwert nur eine Erklärung sahen: Doping.

Wie ernst es der italienischen Justiz mit der Anti-Doping-Offensive ist, zeigt sich nicht nur am Urteil gegen den Spitzensportler. Fast zeitgleich mit dem Prozessende fand am Dienstag eine große Razzia in Bologna und mehreren anderen italienischen Städten statt. 40 Personen wurden unter dem Vorwurf verhaftet, in Fitness-Studios einen Dealerring für Anabolika, Wachstumshormone und Amphetamine aufgezogen zu haben. Das Signal: Nicht nur Profis, sondern auch Freizeit-Bodybuilder erfreuen sich wachsender staatlicher Aufmerksamkeit, wenn sie mit Fitmachern aus der Apotheke hantieren. Mit dem neuen Anti-Doping-Gesetz, das die Einnahme von Muntermachern zum Straftatbestand macht, haben die Staatsanwälte jetzt noch stärkere Waffen, auch wenn im Fall Pantani das alte Gesetz gegen Sportbetrug als Grundlage für die Verurteilung reichte.

Noch steht aber dahin, ob wirklich harte Zeiten für Italiens Sportler anbrechen. Das „historische Urteil“ (so einhellig die italienischen Medien) gegen Pantani tut dem Radfahrer nicht besonders weh. Die Haftstrafe wurde auf Bewährung ausgesprochen, und die Sperre wird zunächst auch nicht wirksam, da Pantani in die Berufung gehen will.

Die von ihm selbst lauthals eingeforderten Solidaritätserklärungen aus der Sportwelt erhielt Pantani zwar nicht, doch ebenso wenig gingen Italiens NOK und der Radsportverband auf Distanz zu ihrem Vorzeigeathleten. Die italienischen Sportfunktionäre setzen offenbar auf die bewährte Strategie, Doping zwar verbal zu bekämpfen, faktisch aber als notwendiges Übel hinzunehmen. Als aussichtsreicher Kandidat für den Vorsitz im Radsportverband gilt Francesco Moser. Der frühere Weltklassefahrer geriet zuletzt in die Schlagzeilen, weil er in seiner aktiven Zeit Kunde des im Oktober verurteilten Dopingprofessors Francesco Conconi war. Besonderer Eifer im Kampf gegen die Chemie ist von dem Funktionär Francesco Moser kaum zu erwarten, ist er doch der Auffassung, dass „Radsport ohne Doping eine Utopie ist“. So bleibt es bis auf weiteres die Sache der Staatsanwälte und der ordentlichen Gerichte, an den Sportverbänden vorbei den Kampf gegen den Dopingsumpf in Italien zu führen.