Kuddelmuddel im Kreml-Krimi

Der in Spanien festgenommene Medienmogul Wladimir Gusinski kämpft gegen seine Auslieferung nach Russland

Als die Staatsanwaltschaft in Moskau am Dienstag gebeten wurde, die jüngste Verhaftung eines russischen Tycoons zu kommentieren, war kein Mitarbeiter am Platz. Die Rechtsschützer hatten frei, um den Tag der russischen Verfassung zu begehen, während in seiner Villa im spanischen Sotogrande Wladimir Gusinski wieder einmal seine Freiheit verlor.

Es ist dieser Mann, dessen Medienimperium bisher sehr viel zu dem Eindruck beigetragen hat, dass wenigstens die vierte Gewalt im russischen Staat die verfassungsmäßig für sie vorgesehene Rolle spielt. Unter anderem Gusinskis Zeitung Segodnja, das Nachrichtenmagazin Itogi, der Radiosender Echo Moskwy und der Fernsehsender NTV sind durch ihre unabhängige Berichterstattung der Regierung ein Dorn im Auge. Und nicht zum ersten Mal in diesem Jahr holen die Rechtsschützer zum Schlag gegen Gusinski aus: Im Mai fand eine dramatische Haussuchung in seinem Konzern statt. Die Staatsanwaltschaft kümmerte sich dabei auf ungewohnt rührende Weise um die verfassungsmäßigen Rechte der einfachen Angestellten der Media-Most-Holding, die durch den hauseigenen Sicherheitsdienst verletzt worden sein sollen.

Im Juni wurde Gusinski dann wegen Hochstapelei verhaftet. Der Vorwurf lautete, er habe sich staatliche Vermögensanteile einer kleinen Petersburger Fernsehgesellschaft unter den Nagel gerissen. Gusinskis Untersuchungshaft im wenig prestigeträchtigen Moskauer Butyrka-Gefängnis – sonst nur den unteren Volksschichten vorbehalten – wurde in der internationalen Öffentlichkeit als Erpressungsversuch gewertet. Sie führte zu einer Flut von Protesten, die den cleveren Manager in drei Tagen wieder auf die Moskauer Straße spülte.

Unterschrift erzwungen

Gusinski behauptete allerdings, ein anderer Umstand sei für seine Entlassung wichtiger gewesen: In der Haft unterschrieb er ein Vertragsprojekt zu einer Einigung mit dem russischen Erdgasmonopolisten Gasprom, bei der Media-Most damals hoch verschuldet war. Der Medienzar beteuerte, er habe die Unterschrift „nur vor der Gewehrmündung geleistet“. Jetzt liegt wieder eine andere Anklage wegen Betruges vor. Diesmal heißt es, der Media-Most-Chef habe Teile des Vermögens der Holding ins Ausland transferiert.

Auf den ersten Blick weist der Fall viele Parallelen zur Geschichte eines anderen von Staats wegen verfolgten russischen Oligarchen auf: Boris Beresowski, einst graue Eminenz im Kreml und heute in Ungnade gefallen. Genau wie Gusinski ist er aus Furcht vor einem möglichen Arrest schon vor längerer Zeit ins Ausland ausgewichen.

Auch Beresowski verfügt über Einfluss in einem großen Medienunternehmen: Er regiert über das Mehrheitsaktienpaket im staatlichen Fernsehsender ORT. Diese Anteile wollte er nun angeblich von einem Rat aus Künstlern und Intellektuellen verwalten lassen, legte das Projekt aber auf Eis, nachdem es in einem ihn betreffenden Verfahren Anklagen und einen Verhafteten gegeben hatte.

Dennoch besteht ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Oligarchen: Der kriminelle Hintergrund ist im Falle Beresowskis sehr viel eindeutiger. Die russischen Staatsanwälte ermitteln gegen ihn seit Jahren in ein und derselben Angelegenheit, und nicht nur die russische, auch die Schweizer Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn der Unterschlagung.

In Gusinskis Fall ist dagegen das Lavieren der Staatsorgane auf der Suche nach einer glaubwürdigen Anklage offensichtlich. Die Erfolge waren bisher dünn. Die kleine Petersburger Fernsehgesellschaft zum Beispiel war bankrott, als die Media-Most sie übernahm. Auch Gasprom hat Gusinski nichts mehr vorzuwerfen und zog ihre Anzeige zurück. Der Schuldentilgungsplan sichert Gasprom nun Mehrheitsanteile an den meisten Media-Most-Firmen, nicht allerdings der strategisch wichtigen Beteiligung am nationalen Fernsehsender. NTV-Chefmoderator Jewgeni Kisseljow – selbst im Sommer von der Polizei verhört – verwies dann auch auf den Kreml als Auftraggeber der Kampagne gegen Gusinski. „Ich hoffe, dass diejenigen, die im Kreml diesen Kuddelmuddel eingebrockt haben, an meinen Aussagen ihre Freude haben.“

Verfahren in Madrid

Gusinski befand sich bei Redaktionsschluss in Madrid, wo ein spanischer Gerichtshof auf Antrag seiner Anwälte entscheiden soll, ob das russische Auslieferungsbegehren auf kriminologischen oder politischen Erwägungen beruht. Das Verfahren leitet Baltazar Garzón, der Richter, der die Auslieferung Augusto Pinochets gefordert hatte. BARBARA KERNECK