■ Urdrüs wahre Geschichten: Alle Tage Sonntag
Mitunter schreibt der Geist der Geschichte auch auf krummen Zeilen grade: Rechtzeitig zur Übernahme des US-Präsidentenamtes durch den texanischen Henkersmann George W. Bush gibt es in Bremen wieder eine konsularische Vertretung des großen Amerika und damit die Chance, ohne ökologisch bedenklichen Demonstrations-Tourismus quer durch die Republik bei jeder Exekution der Todesstrafe in den USA das konjunkturentsprechend preiswerte Ochsenblut literweise direkt in Bremen als farbiges Gegenargument beim World Trade Center zu hinterlegen. Auch die in den hiesigen Blättern verbreitete Auffassung, dass die neue Leiterin der US-Vertretung besonders charmant sei, muss den Vertreter des interkontinentalen Menschenrechtsgedanken nicht von solchen Taten abhalten: Wäre es nicht geradezu diskriminierend, wenn man Donna Fock wegen ihres gefälligen Aussehens im Falle solcher Fälle völlig ungeschoren ließe – so, als ob man sie nicht ganz ernst nehmen würde? Auf sowas warten die einschlägigen amerikanischen Anwälte doch nur, nachdem die Wahl entschieden ist. Nur zu also! Zumal das Monument des Welthandels in seiner modernistischen Coolness ja durchaus etwas Patina gebrauchen kann, um sich der hanseatischen Puppenstubenhaftigkeit wenigstens ein bisschen anzupassen.
„Das ist nun mal eine Nordmanntanne“, wehrt der Weihnachtsbaumverkäufer den Versuch des Kunden ab, den Preis für das Bäumchen von 60 auf 40 Mark zu drücken. „Dann hebense Ihren Baum doch bis zum Neuen Jahr auf, vielleicht findense dann ja einen Dummkopf, der soviel dafür bezahlt. Ich nehm dann lieber den für 30!“ Deutet auf irgendeinen entsprechend ausgezeichneten Baum und muss sich nunmehr vom Herrn über Tannen und Fichten sagen lassen: „Ihnen verkauf ich jetzt überhaupt nix, schon aus Prinzip.“ Die Aufhebung des bisherigen Rabattgesetzes wird offenkundig nicht ohne menschliche Probleme und Härten vor sich gehen ...
Unausrottbar scheint der Brauch, dass Schülerinnen und Schüler durch die Gegend latschen, um sich dann für jeden zurückgelegten Kilometer von irgendwelchen „Sponsoren“ Bares geben zu lassen. Wenn die siebten Klassen der Gesamtschule Mitte jetzt im Rahmen des Projekts „Armut und Reichtum in unserer Welt“ einen vorweihnachtlichen Wandertag für humanitäre Projekte in Ghana durchführen, bleibt mir zwar der inhaltliche Zusammenhang zwischen Nothilfe und Nike-Abnutzung irgendwie verborgen, aber natürlich wollen wir die gute Absicht nicht verkennen. In diesem Sinne: Dann lauft mal schön! Vielleicht erzählt euch der älteste mitmarschierende Pauker ja unterwegs ein bisschen was aus seinem damaligen Grundkurs über Imperialismus und Neokolonialismus in der Roten Zelle Geschichte ...
Mit einigem Vergnügen und nicht ohne Neid habe ich dieser Tage die CD mit den Bremer Stadtmusikanten in der Interpretation des großen Kleinkünstlers Henning Scherf gehört und träume seitdem von einem gemeinsamen Vortragsabend unter Einschluss des beliebten Balladenrezitators Thomas Franke zugunsten der Flüchtlings-Initiative „grenzenlos“: Wohlzutun und mitzuteilen vergesset nicht/denn solche Opfer gefallen Gott wohl, heißt es dazu auf gut reformiert, wenn der Klingelbeutel rumgeht. Und in der Bewerbung als „Kulturhauptstadt Europa“ würde sich eine solche Offensive internationalistischer Liebenswürdigkeit bestimmt besser machen als ein paar Flaschen Ratskellerwein für die Mitglieder der Auswahlkommission!
„Kinder hört mal alle her/ins Al-Ta-So, da kommt Er!/Der Weihnachtsmann ist unser Gast/der jedem eine Freude macht./Ihr Eltern seid heut auch dabei/Denn Kaffee und Kuchen sind heut frei!“ Mit diesen anrührenden Worten wirbt die Waller Diskothek Al-Ta-So („Alle Tage Sonntag“) für ihre morgige Kinderweihnachtsfeier, keine 200 Meter Luftlinie vom sozialen Biotop des illegalisierten Wohngebiets der Parzellisten am Waller Fleet entfernt. Diese künstlerisch eher schlichte, aber doch wahrhaft likedeelersche Botschaft zu hören und um die Widerstandskraft des dahinterstehenden Volkes zu wissen, sollte für sensible Stadtplaner selbstverständlich sein. Freie Scholle, freies Leben – oder Ärger ohne Grenzen! (Anmeldungen zur Weihnachtsfeier unter Tel.: 39 39 22).
Unter ausdrücklichem Hinweis auf langjährige Mitgliedschaft bei der Dampfeisenbahn Weserbergland tritt hiermit dem von SPD-Bürgerschaftsfraktion ,und Eisenbahnergewerkschaft geschlossenen Bündnis für die Eisenbahn in der Region ohne jede direkte Aufforderung mit hoffnungsvoller Zuversicht bei
Ulrich „Lukas“ Reineking
zzt. Lummerland
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